© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/15 / 15. Mai 2015

Zweckoptimismus im Kanzleramt
Steigende Asylbewerberzahlen: Der Krisengipfel von Bund und Ländern zur Flüchtlingskrise zeigt die Hilflosigkeit des Staates
Christian Schreiber

Als die Bundeskanzlerin am vergangenen Freitag vor die Hauptstadtpresse trat, hatte sie wenig Aufregendes mitzuteilen. Der sogenannte Flüchtlingsgipfel, zudem Angela Merkel Vertreter von Bund und Ländern ins Kanzleramt geladen hatte, war am Ende eher ein symbolischer Akt. Ein Ausspruch der Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen, Hannelore Kraft (SPD), symbolisiert die Stimmung wohl am treffendsten. „Ich denke, wir schaffen das“, verbreitete sie Zweckoptimismus.

Wesentlich konkreter wurde es nicht in Berlin, und das ist angesichts der Tatsache, daß vor allem die Kommunen unter der Flüchtlingswelle zu leiden haben, ziemlich wenig. Vor drei Jahren lag die Zahl der Asylanträge noch bei 77.651, 2015 erwartet die Regierung 450.000 Antragsteller.

Streit um angebliche Sonderlager

Nun sollen 2.000 zusätzliche Stellen im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) geschaffen werden, um die Verwaltungsabläufe zu beschleunigen. Denn noch immer wird ein überwältigender Anteil der Asylanträge abgelehnt, bis zur Abschiebung vergehen teilweise aber Jahre. Auf drei Monate soll die Bearbeitungszeit für die Anträge im Schnitt sinken, momentan liegt sie nach Angaben des Bundesamts noch bei über fünf Monaten. Innenminister Thomas de Maizière (CDU) sorgte mit der Ankündigung, Antragsteller künftig nach Herkunftsländern aufzuteilen, für Aufsehen. Denn laut Innenministerium zeichnen zwei Entwicklungen für die Explosion der Flüchtlingszahlen verantwortlich: Zum einen kämen immer mehr Antragsteller aus westlichen Balkanländern. Zudem registrieren die Behörden vermehrt Asylsuchende aus Albanien nach Deutschland, nachdem es zu Jahresbeginn einen Ansturm aus dem Kosovo gegeben hatte. Darüberhinaus sei die Zahl derer, die über das Mittelmeer nach Europa kommen, weiterhin ansteigend. De Maizière sagte, es sei notwendig zu trennen „zwischen denen, die eine hohe Anerkennungsquote haben, und denjenigen, von denen wir wissen und von denen wir auch wollen, daß sie unser Land auch wieder verlassen“. Damit dürften vor allem jene Bewerber aus den Balkanländern gemeint sein, deren Anerkennungsquote äußerst gering ist: „Wenn wir ohnehin wissen, daß aus bestimmten Staaten die Anerkennungsquote niedrig ist, sollte es das Ziel sein, möglichst bis zum Abschluß des Verfahrens eine gemeinsame Unterbringung sicherzustellen.“

Die Fraktionschefin der Grünen, Katrin Göring-Eckardt, die als Oppositionspolitikerin nicht zu den Gesprächen eingeladen war, reagierte empört und unterstellte dem Minister, er wolle „Sonderlager für Asylbewerber“ einführen. Der Verein Pro Asyl, wortführend in Sachen Flüchtlingslobbyismus, erklärte, daß „eine Aufteilung von Flüchtlingen nach pauschalierender Betrachtung des Herkunftslandes, bevor ein unvoreingenommenes Asylverfahren durchgeführt wurde, nicht in Ordnung ist“. Es dürfe nicht darum gehen, ob ein bestimmtes Herkunftsland willkommen sei, sondern „ob ein Mensch schutzbedürftig ist“, forderte Geschäftsführer Günter Burkhardt. Hier würden Vorentscheidungen getroffen, bevor der Einzelfall betrachtet wurde. Das aber sei der Kern eines Asylverfahrens, so Burkhardt. Er bezeichnete die Ergebnisse des Spitzentreffens als „dürftig und enttäuschend“.

Wer eine Antwort auf die Frage erhofft hatte, wer für die Mehrkosten aufgrund der gestiegenen Flüchtlingszahl aufkommen werde, wurde enttäuscht: „Wir haben nicht darüber gesprochen, wer jetzt genau was übernimmt“, erklärte die Bundeskanzlerin: „Aber ich darf sagen, daß wir gewillt sind, eine Lösung zu finden.“ Um dieses Problem zu lösen, hätte Merkel wohl auch Vertreter der Kommunen einladen müssen, doch diese blieben außen vor, was Städtetagspräsident Ulrich Maly im Vorfeld heftig kritisierte. Nach der Pressekonferenz der Kanzlerin gab er sich dann versöhnlich. „Die Absicht von Bund und Ländern, ein Maßnahmenpaket zu den Asylverfahren und zur Integration von Flüchtlingen zu verabreden, ist ein sichtbarer Schritt in die richtige Richtung“, sagte er der Mitteldeutschen Zeitung.

In eine andere Richtung will die Große Koalition generell die europäische Flüchtlingspolitik bringen. In der Bundesrepublik werden die Flüchtlinge nach dem recht komplizierten Königsteiner Schlüssel auf die Länder verteilt. Innerhalb der Europäischen Union gilt dagegen das Dubliner Abkommen. Danach sind Asylanträge in dem Land zu stellen, in dem sie zuerst ankommen. Deshalb tragen Italien und die anderen Mittelmeerländer die Hauptlast, zudem kommen viele Flüchtlinge dann illegal nach Deutschland. Osteuropäische Länder sind dagegen kaum betroffen: „Wir werden zu einer anderen Verteilung kommen müssen, als sie bei Dublin vorgesehen ist.“ Es sollen Größe, Wirtschaftskraft, Arbeitslosigkeit und bisher aufgenommene Flüchtlinge berücksichtigt werden. „Das wird ein ganz hartes Stück Arbeit“, sagte Merkel und gab zu, „daß wir erst am Anfang stehen“. Immerhin so viel Klarheit brachte der Flüchtlingsgipfel dann doch.

Foto: Von der deutschen Marine im Mittelmeer gerettete „Flüchtlinge“ an Bord der Fregatte Hessen: Weiterreise nach Deutschland?