© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/15 / 15. Mai 2015

Schrumpfkurs mit Ansage
Deutsche Bank: Die „Strategie 2020“ soll erhebliche Veränderungen bringen / Drohen weitere Milliardenstrafen?
Thomas Fasbender

Eine führende, globale und in Deutschland verankerte Bank“ verspricht die Deutsche Bank in ihrer jüngst vorgestellten „Strategie 2020“. Man bleibe „eine Universalbank, aber mit einem konzentrierteren Produkt- und Dienstleistungsangebot“, betonten die beiden Vorstandschefs Jürgen Fitschen und Anshu Jain. Aber „wir werden nicht mehr versuchen, alles für jeden zu sein“ – sprich: Die Deutsche Bank ist auf Schrumpfkur.

Die mediale Aufmerksamkeit über die neue Geschäftsstrategie überrascht nicht, denn kein Finanzinstitut ist in einem solchen Ausmaß ein Spiegel der Gesellschaft wie die vor 145 Jahren in Berlin gegründete Deutsche Bank. Und nie hat diese Bank anders operiert als unter globalisierten Bedingungen. Unabhängigkeit von englischen Instituten bei der Realisierung interkontinentaler Geschäfte war die Ratio ihrer Gründung. Großprojekte wie die Bagdadbahn pflasterten ihren Werdegang. Deutsche Bank, das war vom ersten Tag an Denken in globalen Zusammenhängen; die regelmäßig wiederkehrenden Einschränkungen durch Kriege und protektionistische Politik waren den Deutsche-Bank-Verantwortlichen zu aller Zeit ein Graus.

Kein anderes Institut hat sich den nationalen Herausforderungen dieser eineinhalb Jahrhunderte mit einem vergleichbaren Selbstbewußtsein gestellt: der phänomenale Aufschwung nach der Reichsgründung 1871, die Integration der demokratischen Eliten nach 1918, der Drahtseilakt zwischen Staatsräson und Distanz zum NS-Regime nach 1933, der Wiederaufbau im Westen nach 1945, die Wiedervereinigung ab 1990.

Unter dem Dach der „Deutschland AG“ – der gegenseitigen Beteiligung zwischen Industrie- und Finanzsektor – vollbrachte die Bonner Republik ihr Wirtschaftswunder. Doch bereits 1973 begann bei der Deutschen Bank der Verkauf ihrer Industrieanteile. Die rot-grünen Reformgesetze, die den Verkauf von Kapitalbeteiligungen ab 2002 steuerfrei stellten, markierten das Ende der „Deutschland AG“. Wie Adidas, Bayer, Daimler, Linde oder Siemens ist die Deutsche Bank längst mehrheitlich in der Hand ausländischer Investoren. Das war, wie auch der Verzicht auf die Deutsche Mark, der Preis für EU und Globalisierung. Und seitdem der Preis gezahlt ist, schrumpft die Bedeutung der Deutschen Bank. War sie nach der Bilanzsumme noch 1994 das stärkste Finanzinstitut der Welt, vegetiert sie heute auf Rang 40. Daß die Bank dem Geld nicht mehr hinterherläuft, ist seit Jahren zu beobachten. Mit ihrer „Strategie 2020“ scheint es, daß sie ihm nicht einmal mehr entgegengeht. Prompt knickte die Aktie binnen drei Tagen um zehn Prozent ein.

Das Motto der neuen Linie: Das Privatkundengeschäft bleibt zwar, aber die erst 2012 übernommene Postbank wird wieder verkauft. Gut zehn Prozent der Auslandsmärkte will man sich selbst überlassen. Selbst das Investmentbanking wird gestutzt, vorrangig um seine „unethischen“ Auswüchse – also um das, wo man besonders gut verdient.

Werteverfall

oder Wertewandel?

Irgend etwas ist geschehen um die Jahrtausendwende. Die Entflechtungen, Deregulierungen und Liberalisierungen der Achtziger und Neunziger haben zwar der Wirtschaft lebensnotwendigen Sauerstoff zugefügt, sie fit gemacht für Asien, fit für das digitale Zeitalter. Vieles hat sich fundamental geändert, und bis jetzt ist nur die Spitze des Eisbergs zu sehen. Und die ist beeindruckend genug.

Angeklagt in München wegen versuchten Prozeßbetrugs im Fall Leo Kirch sind neben Fitschen seine Vorgänger als Vorstandssprecher Josef Ackermann und Rolf Breuer, sowie zwei weitere Ex-Vorstände. Angeklagt in Frankfurt am Main werden in Kürze wahrscheinlich einige Manager aus dem Mittelbau der Bank, Direktoren und Assistant Vice Presidents. Es geht um den Handel mit CO2-Zertifikaten – Wertpapiere, die angeblich dem Schutz des Weltklimas dienen, mit denen sich aber auch prächtig Geld verdienen läßt. Und nicht nur das: Die betroffenen Manager sollen herausgefunden haben, daß man durch geschickt gewählte Strukturen obendrein ganz famos Umsatzsteuer „sparen“ kann.

Angeklagt in London und in den USA war gleich die ganze Organisation, weil ihre Mitarbeiter über Jahre hinweg den wichtigen Libor-Referenzzinssatz manipuliert hatten. 2,5 Milliarden US-Dollar muß die Bank den englischen und amerikanischen Aufsichtsbehörden überweisen (JF 19/15).

Was ist vorgefallen im Gefüge dieses Unternehmens? Alles nur schwarze Schafe, Schwund im Promillebereich, wie jede Organisation ihn kennt? Nein, diese Deutsche Bank ist nicht wiederzuerkennen. Bleibt sie vielleicht auch darin ihrem Ruf treu, ein Spiegel der deutschen Gesellschaft zu sein? Kritiker, die betonen, in Deutschland habe man eben kein Händchen für die Finanzkunst, das Spekulative hätten wir in die Metaphysik verbannt, in der Realität wertschätzten wir Chemiker und Ingenieure – vielleicht haben sie nicht ganz unrecht.

In Kommentaren zum Deutsche-Bank-Phänomen liest man bisweilen von Werteverfall. Sollte es also besser Wertewandel heißen? Den Stellenwert des Wortes „deutsch“ im Diskurs der Eliten kennt jeder. Englisch ist Verkehrssprache. Politische Loyalitäten sind auf die eigene Seilschaft begrenzt. Meta-Ebenen wie Nation oder Vaterland sind verpönt. Ethische Restriktionen? Was soll das sein, vegane Ernährung? Die Zehn Gebote sind nun wirklich out.

Also, was gilt? 25 Prozent Eigenkapitalrendite, die hat schon Ackermann vorgegeben. Die zu erwartenden Boni, die gelten auch. Der Staat mit seiner Umsatzsteuer? Der gilt nicht. Liest man die Korrespondenzen der Banker, die sich die Libor-Sätze passend machten, ist alles glasklar. Kein Werteverfall – purer Wertewandel: Effizienz, Gewinn, Eigenkapitalrendite, Shareholder-Value. Keine Welt für Verlierer.

Vorstandsrede und Präsentation zur „Strategie 2020“ der Deutschen Bank: deutsche-bank.de

Foto: Vorstandschefs Jürgen Fitschen (l.) und Anshu Jain: „Wir haben ein wirklich globales Geschäftsmodell, und wir sind in Deutschland verankert“