© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/15 / 15. Mai 2015

Holzauge, sei wachsam!
Von der Revolution zur Moderation: Der neue Intendant der Berliner Volksbühne will nur noch Vermittler sein
Richard Stoltz

Er komme „nicht als Revolutionär, sondern als Moderator der Veränderung“. So der britische Kunst- und Event-Kurator Chris Dercon, der demnächst die Nachfolge des Theater-Intendanten Frank Casdorf an der Berliner Volksbühne antreten wird. Dercons Auskunft hat für Aufregung im Berliner Kulturleben gesorgt. Denn wer dort bisher an Staatsknete herankommen, also staatliche Finanzierung für seine Inszenierungen erhalten wollte, der mußte unbedingt „Revolutionär“ sein. Revolutionär zu sein war das mindeste.

Und nun plötzlich einer, der keine Revolution mehr will, sondern nur noch „Veränderung“! Und fast schlimmer noch: Er bezeichnet sich selbst nicht als Inspirator oder aktiver Herbeiführer von Veränderungen, sondern lediglich als deren Moderator. Was soll das heißen? Moderator bedeutet doch lediglich „Vermittler“ – oder vielleicht sogar „Abkühler“, der irgendwelche wild gestikulierenden Hitzköpfe auf publikumserträgliche Zimmertemperatur herunterbringen will? So einer gehört doch nicht ins Berliner Kulturleben, schon gar nicht in die Volksbühne!

Dirk Knipphals von der Berliner tageszeitung wittert denn auch schon „Veränderungen, die weit über die Theaterwelt hinausreichen“ und für das „Lebensweltlabor Berlin insgesamt“ gefährlich werden könnten. Ein volles „halbes Jahrhundert Ideen- und Intellektuellengeschichte“ könnte davon betroffen sein und eventuell den Bach hinuntergehen. Holzauge, sei wachsam!

Dazu wäre mancherlei zu sagen, zum Beispiel dies, daß nichts in der Lebenswelt ewigen Bestand hat, auch revolutionäre Intellektuellengeschichten nicht, von denen man glauben mochte, daß sie Jahrhunderte überdauern würden, wenigstens im Lebensweltlabor Berlin. Laboratorien, auch und gerade Lebensweltlaboratorien, sind Institute, in denen Phänomene nicht nur bequatscht, sondern strengsten Versuchsanordnungen unterworfen werden. Dortige Moderatoren müssen in erster Linie an exakten empirischen Befunden interessiert sein, selbst wenn ihr Labor in der Volksbühne untergebracht sein sollte.