© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/15 / 15. Mai 2015

Augenzwinkerndes Einverständnis
Sahra Wagenknecht moderiert die „Aktuelle Kamera“: Thomas Brussigs neuer Roman „Das gibt’s in keinem Russenfilm“ erzählt von einem Fortleben der DDR
Thorsten Hinz

Mehr Erfolg kann ein Schriftsteller kaum haben, als Thomas Brussig (50) mit den Romanen „Helden wie wir“ und „Am kürzeren Ende der Sonnenallee“ einheimste: Riesenauflagen, Übersetzungen in dreißig Sprachen, Verfilmungen, eine Bühnenadaption. Das liegt allerdings schon 15 Jahre zurück. Brussigs neuer Roman nun, „Das gibt’s in keinem Russenfilm“, ist auch als Versuch des Autors zu lesen, die eigene Erfolgsgeschichte fortzuschreiben, indem er sie in kontrafaktischer Verfremdung nacherzählt und in eine DDR verpflanzt, die weder eine „Wende“ noch den Mauerfall erlebte, die dafür aber das Finale der Fußball-WM gegen die Bundesrepublik grandios gewann.

Erich Honecker entschlummert friedlich, Egon Krenz folgt ihm nach und wird später von Gregor Gysi abgelöst, der an sein frühes Versprechen, freie Wahlen abzuhalten, nicht mehr erinnert werden will. Aus dem alten Zausel Wolfgang Thierse ist trotz Eigelb im Bart ein erfolgreicher Verleger und Millionär geworden. Alexander Osang ist zum Chefredakteur des Neuen Deutschland aufgestiegen und Sahra Wagenknecht zur humorlosen Domina der Nachrichtensendung „Aktuelle Kamera“.

Die DDR nimmt sich an China ein Beispiel, führt Wirtschaftsreformen durch, ohne das Machtmonopol der Partei anzutasten, und erreicht als Produzent und Nutzer von Windrädern einsames Weltniveau. Das Ausreiseproblem wird gelöst, indem der Staat den Bürgern erlaubt, im Westen zu arbeiten. Einzige Bedingung: Die 14prozentige Lohnsteuer, die in der DDR erhoben wird, muß in harter Währung beim Staat abgeliefert werden. Das ist für die Westdeutschen, die zu Hause bis zu 58 Prozent berappen müssen, so attraktiv, daß sie am liebsten ihren Wohnsitz in die DDR verlagern möchten, was Bundeskanzler Schäuble mit einer Stichtagsregelung verhindert.

Ach ja, der Ich-Erzähler heißt Thomas Brussig, ist ein Beststellerautor und läßt auf die Biermann- eine „Brussig-Affäre“ folgen, die in Ost und West hohe Wellen schlägt. Und irgendeine Angela, die im wirklichen Leben bloß als passable Apfelkuchen-bäckerin hervorsticht, wird in einem satirischen Erfolgsroman zur gesamtdeutschen Kanzlerin gewählt. Das gibt’s nicht mal im Russenfilm, kommentiert der Brussig-Bruder Stefan ...

In dem Buch sind die bekannten Qualitäten des Autors versammelt: Fabulierfreude, Sprachwitz, scharfe Beobachtungsgabe, Satire, die bis zur Groteske gesteigert wird. Es ist weniger ein Roman als ein Slapstick, eine permanente Situationskomik. Leider wirkt er bei aller Unterhaltsamkeit bald betulich, denn anstatt zu provozieren, appelliert er an das augenzwinkernde Einverständnis der Leser und der aufgeführten Personen. Für anheimelnde Atmosphäre sorgen auch die versteckten Zitate: Hier einige Anspielungen auf die Memoiren Stefan Heyms, dort ein abgewandelter Halbsatz aus einem Interview, das Stephan Hermlin einst der FDJ-Zeitung Junge Welt gab.

Wer Freude hat an solcher Schnitzeljagd – bitte. Etliche Namen dürften für Leser, die in der DDR nicht dabei waren, freilich Schall und Rauch bleiben, zumal Brussig aus ihnen keine Typen formt. Die Lektüre fühlt sich ein bißchen an wie der Anblick der dreißig, vierzig Jahre alten DDR-Familienserien, die der Mitteldeutsche Rundfunk hin und wieder ausstrahlt: Man ist erfreut, gerührt, verblüfft, doch die Filme sind folgenlos. Die Schilderungen aus dem Kulturbetrieb und dem Meinungskarussell des Feuilletons sind ebenfalls lustig, ohne jemand weh zu tun.

Kurzum: Brussig ist zwar kein Thomas Bernhard, doch sein neues Buch kann man risikolos verschenken.

Thomas Brussig: Das gibt‘s in keinem Russenfilm. Roman. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2015, gebunden, 384 Seiten,19,99 Euro