© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/15 / 15. Mai 2015

Horch und Guck im Auftrag des Altmärkers
Spitzelei und Spionage als Instrumente Bismarckscher Politik: Gegner im In- und Ausland wurden durch seine Geheimpolizei überwacht
Jürgen W. Schmidt

Reichskanzler Bismarcks Amtsnachfolger, General Leo von Caprivi, unterschied sich beim Gebrauch eines bestimmten politischen Instruments deutlich vom Fürsten Bismarck. Aus ethisch-moralischen Gründen schränkte er den Gebrauch der Geheimpolizei zur Überwachung politischer Gegner deutlich ein. Der Eiserne Kanzler hatte diesbezüglich weniger Skrupel gehabt.

Wie neue Aktenfunde beweisen, nutzte Bismarck bereits als junger preußischer Ministerpräsident die Geheimpolizei, um die vermutete Opposition in höheren militärischen Kreisen oder deutschen Fürstenhäusern zu überwachen. Bismarcks Vertrauensmann für derartige heikle Aufträge war der Regierungsrat Karl Ludwig Zitelmann. Jenen Zitelmann kannte Bismarck bereits ab 1851 aus seiner Tätigkeit als preußischer Bundestagsgesandter in Frankfurt am Main. Er benutzte ihn unter anderem, um durch Bestechung die süddeutsche Presse im Sinne Preußens zu beeinflussen.

Als Bismark im Herbst 1862 zum preußischen Ministerpräsidenten aufstieg, versicherte sich Bismarck sogleich wieder der Dienste Zitelmanns. Ab sofort war er im Auftrag Bismarcks für alle „Staats- und Polizeisachen“ zuständig. In dieser Eigenschaft hielt Zitelmann engen Kontakt zu den preußischen Polizeibehörden, insbesondere zum Königlichen Polizeipräsidenten von Berlin, wo sich die Leitstelle der damals noch zahlenmäßig schwachen politischen Polizei befand.

Selbst preußische Generale ließ Bismarck bespitzeln

Daneben zog Zitelmann durch bezahlte, „selbständige“ Spitzel Informationen auch aus dem „Ausland“ ein. Wobei es sich beim sogenannten „Ausland“ um Karlsbad im damals österreichischen Böhmen oder aber Gotha im gleichnamigen Herzogtum Sachsen-Coburg-Gotha handeln konnte. Hierbei ging es nicht etwa um militärische Spionage, denn so etwas war Sache des Generalstabs und interessierte Bismarck folglich nicht unmittelbar. Auch ging es nicht so sehr um Staatsgeheimnisse oder die Entwendung von Geheimakten. Vielmehr beobachteten Zitelmanns Späher und die von ihm beauftragten preußischen Geheimpolizisten bestimmte Personen und politische Kreise, welche Bismarck in Verfolg seiner Ziele für suspekt hielt.

Eine jener für Bismarck suspekten Personen war der Herzog Ernst II. von Sachsen-Coburg-Gotha, der in deutschen Fürstenhäusern seinerzeit kräftig gegen Bismarck Stimmung machte, ungeachtet dessen aber im Jahr 1866 mit seiner Mini-Armee auf seiten Preußens stand. Bereits gegen Ende 1862 trafen erste politische Konfidentennachrichten aus Gotha bei Zitelmann ein, der sie dann Bismarck zur Lektüre vorlegte. Auch im Vorfeld des Kriegs gegen Dänemark 1864 hielt Zitelmann Bismarck über die politische Stimmung in Gotha auf dem laufenden und informierte über Spendensammlungen für Schleswig-Holstein, zu welchen der bekannte Schriftsteller Gustav Freytag aufrief.

Merkwürdig berührt es allerdings, wenn Zitelmann im Auftrage Bismarcks fast zur selben Zeit auch höhere preußische Militärs durch Geheimpolizisten überwachen ließ. Eine solche Überwachung, vorgenommen durch den Berliner Schutzmann Mannig mit der Dienstnummer 765, sah so aus, daß Mannig im Zeitraum vom 25. Februar 1865 bis zum 2. März 1865 jeweils ab dem frühen Morgen vor dem Quartier seines Beschattungsobjekts wartete und es dann den ganzen Tag heimlich verfolgte und observierte, bis der Betreffende abends wieder in seinem Heim eintraf.

Anschließend wurde im Observationsbericht minutiös zusammengefaßt, wo der Betreffende wann in Berlin weilte und mit wem er sich traf. Bei unbekannten Individuen folgte hierauf seitens Mannigs eine genaue Personenbeschreibung. Als sich das Beschattungsobjekt anscheinend konspirativ mit anderen hohen Offizieren in einem Besprechungszimmer des damaligen Potsdamer Bahnhofs traf, war Mannig bemüht, heimlich an der Tür den Gesprächsinhalt zu belauschen, ohne dabei die Aufmerksamkeit der wachsamen Bahnhofskellner zu wecken. Anschließend folgte er dem ranghöchsten Offizier bis zu dessen Haus, um hier schließlich festzustellen, daß es sich um den Stabschef des preußischen Gardekorps Generalmajor von Rosenberg-Grusczynski handelte.

Diese zufällig erhaltenen Observationsberichte, es dürften einst Hunderte, wenn nicht Tausende gewesen sein, las Bismarck eifrig, wie entsprechende Aufschriften besagen. Es ging hierbei um preußische Offiziere, die Bismarck der Anhängerschaft an den Chef des Preußischen Militärkabinetts, den Generalleutnant Edwin von Manteuffel, verdächtigte. Manteuffel, der damals die Personalverwaltung der preußischen Armee innehatte und später zum Feldmarschall aufstieg, nahm seinerzeit eine oppositionelle Haltung zu Bismarcks Politik ein. Auch nach Zitelmanns dienstlicher Umsetzung im Jahr 1867 fand Bismarck immer wieder geeignete Beamte, zuletzt den umtriebigen Polizeirat Hermann Krüger, welche ihm auf solchen Wegen die benötigten Geheim-informationen verschafften.