© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/15 / 15. Mai 2015

Zerrbilder für Privilegierte
Das Ideal der Karrierefrau: Laurie Pennys Abgesang auf den Mittelstandsfeminismus greift zu kurz
Friederike Hoffmann-Klein

Die Karrierefrau ist die neoliberale Heldin. „Die ‘Karrierefrau’ ist allerorten das neue Idealbild für junge Mädchen: Sie ist der wandelnde Vorzeigelebenslauf, sie wertet mit Make-up und Schönheitsoperationen ihr ‘erotisches Kapital’ auf, um damit ihr Einkommen oder das ihres Chefs zu maximieren. Sie ist immer schön, ausnahmslos weiß und fast völlig fiktional.“ Laurie Penny bringt in ihrem im Februar 2015 erstmals in deutscher Übersetzung erschienenen Buch „Unsagbare Dinge. Sex, Lügen und Revolution“ die feministische Forderung der beruflich erfolgreichen, schönen, unabhängigen modernen Frau in Verbindung mit dem von ihr kritisierten Kapitalismus.

Der Diskussion um Frauenquoten und „gläserne Decke“ liegt ohne Zweifel eine elitäre Sichtweise zugrunde, darin hat die Autorin recht. Es geht um Frauen, die an der Macht beteiligt werden wollen. Und dieses Frauenbild trage dazu bei, die neoliberale Ordnung zu bestärken, weil mit diesem Ideal nur die Mittelstandsfrau angesprochen werden kann. Penny will einen anderen Feminismus. Geschlechterbefreiung soll auch „nach unten durchsickern“. Der Feminismus hat sich auch mit der armen, der dicken, der häßlichen Frau, der Nichtakademikerin, der Sexarbeiterin zu befassen.

Ein „Feminismus, der sich verkauft“, kann immer nur ein Mittelstandsfeminismus sein. Insoweit ist der Feminismus vielleicht tatsächlich das Luxus-Problem der Privilegierten. Die moderne junge Frau ist durch dieses Idealbild des Feminismus geprägt, sie hat nicht mehr gelernt, dieses in Frage zu stellen. Sie wagt es auch nicht mehr. Denn dann müßte sie damit rechnen, als vormodern angesehen und ausgegrenzt zu werden.

Frauen haben Angst, kritisiert Penny, nicht zu gefallen. Penny sieht in dieser Angst eine maßgebliche Unterstützung der bestehenden Gesellschaftsordnung, die sie die „neoliberale Ordnung“ nennt. Geschlechtsspezifische Rollenangebote sind für Penny die Ursache der Unzufriedenheit und Erschöpfung derjenigen Frauen, die nach dem Bild leben, das der klassische Feminismus vorschreibt. Das ist eigentlich nicht ganz logisch, denn die Anforderung, Karriere und Familie zu vereinbaren, wird ja gerade nicht unter geschlechtsspezifischem Gesichtspunkt, sondern aus Gründen der Angleichung gestellt, die darauf abzielt, die Unterschiede zwischen den Geschlechtern aufzuheben.

Der Gedanke, der von ihr kritisierten Belastung und Benachteiligung von Frauen dadurch zu begegnen, daß auch für diese Arbeit, die Frauen mit Kindern und Haushalt erbringen, mehr Anerkennung gefordert wird, kommt ihr nicht. Sie bleibt stehen bei der Kritik, daß Frauen dazu bereit seien, weil ihnen von klein auf beigebracht werde, sich anzupassen, zu gefallen, geliebt zu werden. Müßte sie konsequenterweise nicht auch fordern, daß Frauen wieder den Mut haben, sich diesem angeblichen Ideal zu widersetzen, dem Vorrang der Karriere, die ihnen oft keine „Luft“ mehr läßt, Kinder zu bekommen. Der bewirkt, daß immer mehr Frauen den Zeitpunkt des Kinderkriegens so weit hinausschieben, daß es tatsächlich zu spät ist?

Penny will den Feminismus auf alle Frauen erweitern

Penny denkt in den Kategorien von Geschlechterklassen. Ihre Lösung ist eine Gegenrevolution, die den Feminismus auf alle Frauen, auch die benachteiligten, erweitert. Merkwürdig an ihrer Sichtweise ist, daß sie die Frauen so generell, so grundsätzlich in einer extrem untergeordneten Rolle sieht. Zum Verständnis dieser Kritik ist ein Blick auf die eigene Biographie der Autorin nicht unwichtig. Sie kennt das Milieu, dem sie mit einer sozialen Revolution zum Erfolg verhelfen will. Sie geht gleichzeitig noch darüber hinaus, indem ihr Frausein an sich als soziale Klasse gilt.

Mit einer bloßen „Nebenrolle“, die Frauen allenfalls zugestanden werde, müßten wir uns auch dann nicht begnügen, wenn wir uns dafür entscheiden würden, ein „traditionelles Rollenbild“ zu leben, einen Mann zu haben und Kinder. Selbst diese „feministische Horrorvision“ kann nicht die Ursache sein, wenn wir es verpassen sollten, unser Leben zu leben. Sicher spielen für ihre Sichtweise die eigenen Befindlichkeiten eine Rolle. Der berechtigte Wunsch, eine begabte Frau sein zu dürfen, die schriftstellerischen Erfolg hat, darf nicht zu Ablehnung führen. Dies kann jedoch geschehen, so ihre persönliche Erfahrung. „Männern läßt man es durchgehen, wenn sie das Schreiben etwas mehr lieben als alles andere. Frauen nicht. Der Partner und später die Kinder gehen vor.“ Ein vorgeschriebenes Rangverhältnis kann man kritisieren. Aber vielleicht auch erkennen, daß dabei doch letztlich Äpfel mit Birnen verglichen werden. Warum soll nicht beides, jedes auf seine Art, gleichermaßen wichtig sein?

Im Grunde seien wir alle „kaputte Kids“. Spiegelt diese Einschätzung ihre Grundstimmung wider und erklärt es ihr Verlangen nach Revolution, nach einer sexuellen und sozialen Revolution? Ihr Ausgangspunkt, der sich durch das ganze Buch wie ein roter Faden zieht, sind die Verletzungen, die uns aufgrund unseres Frauseins zugefügt werden. Von der Revolution erwartet sie Freiheit und die Aussicht auf ein erfülltes Leben. „Das brutale Phantombild der Heterosexualität“ bleibt für sie das Schreckgespenst, gegen das sie ankämpft. Mit ihrem Schreiben. „Ich schrieb, um zu überleben.“ Sie will, daß Menschlichkeit vor dem Geschlecht kommt. Daß die eine Hälfte der Menschheit nicht mehr in Angst vor der anderen lebt. Daß wir wirklich frei sind. Eine Gesellschaft, die Frauen als vollwertige Menschen betrachtet. Warum ist das für sie solch ein Problem?

Laurie Penny: Unsagbare Dinge. Sex, Lügen und Revolution. Edition Nautilus, Verlag Lutz Schulenburg, Hamburg 2015, broschiert, 288 Seiten, 16,90 Euro