© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/15 / 15. Mai 2015

Der Flaneur
Tips von Klaus-Dieter
Paul Leonhard

Aus welchen Ländern kommt ihr denn alle?“ Das Gemurmel in der Straßenbahn verstummt abrupt. Alle spitzen die Ohren. Auch die beiden sich gegenübersitzenden farbigen Frauen und der Schwarzhaarige auf der Bank jenseits des Ganges unterbrechen ihr Gespräch. Sie mustern den Fragesteller. Auch ich habe mich umgewandt. Mitte Sechzig wird der Mann sein, Bürstenhaarschnitt, Brille, roter Anorak, Einkaufsbeutel.

Die dunklere der Frauen beschließt, daß die Frage ehrlich gemeint ist, und antwortet: aus Brasilien. Die Mulattin kommt dagegen aus Angola und der Schwarzhaarige aus Porto. Das erklärt, warum die drei sich gerade so angeregt auf portugiesisch unterhalten haben. „Da seid ihr willkommen, ihr seid keine Muslime“, sagt der Fragesteller, der sich auf der weiteren Fahrt als Klaus-Dieter vorstellt. Pensionierter Hochbauingenieur und 71 Jahre alt.

Er sei arbeitslos, weil

er Mist gebaut habe,

aber von irgendwas

müsse er doch leben.

Da die beiden Frauen längst wieder in ihr Zwiegespräch vertieft sind, widmet er sich insbesondere dem ihm gegenübersitzenden Mann. Der klagt über sein Schicksal. Deutschland sei ... – na, lassen wir das. Er habe keine Arbeit, werde vom Arbeitsamt nicht vermittelt, weil er Mist gebaut habe und wegen Diebstahls zu Bewährung verurteilt sei, aber von irgendwas müsse er doch leben.

Klaus-Dieter nickt andächtig. Leider habe er keine Kontakte mehr zu den Kollegen auf dem Bau. Dann zückt er seine Brieftasche. Es läßt sich nicht erkennen, was er dem jungen Portugiesen in die Hand drückt. Aber der bedankt sich euphorisch, und die Mitfahrer mit besserem Blick auf das Geschehen nicken anerkennend.

„Du mußt am Montag zur Pegida-Demo gehen, direkt an die Bühne und denen sagen, daß du Arbeit suchst“, sagt Klaus-Dieter. „Und wegen des Arbeitsamtes mußt du zur Linkspartei, die haben da einen Anwalt, der hilft kostenlos.“ Der Portugiese bittet, ihm Datum und Adresse aufzuschreiben. Klaus-Dieter zückt einen Stift und notiert, dann winkt er den beiden Frauen zu – „schön, daß ihr keine Kopftüchter tragt“ – und steigt aus.