© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/15 / 22. Mai 2015

Stilles Beten für die Opfer
Krimtataren: Im Machtspiel zwischen Moskau, Ankara und Kiew geht das Gedenken an die Stalinschen Deportationen unter
Ali Özkök

Bereits eine Woche vor dem 71. Jahrestag der Stalinschen Zwangsdeportation der Krimtataren schlug die Staatsanwältin der Krim, Natalia Poklonskaja, Alarm. Die Sicherheitskräfte, so das Nachrichtenporatal Sputnik, würden alles in ihren Kräften Stehende tun, um „möglichen Provokationen“ am 18. Mai vorzubeugen.

Kurz zuvor hatte der Vizeregierungs-chef der Krim-Regierung, Ruslan Balbek, unterstrichen, daß Informationen durchgesickert seien, wonach ukrainische Politiker sowie die verbannten Führer des krimtatarischen Parlaments (Medschlis), Mustafa Dschemilew und Refat Tschubarow, Massenprovokationen planen würden.

Mehr als ein Jahr nach dem Anschluß der Krim an die Russische Föderation ist von Entspannung zwischen den neuen Machthabern um Sergej Aksjonow und den Krimtataren, die mit zwölf Prozent die größte ethnische Minderheit auf der Halbinsel stellen, wenig zu spüren.

Vor allem die Türkei, die sich traditionell als Schutzmacht der turkstämmigen Tataren sieht, läßt seit Monaten keine Gelegenheit aus, Moskau zu kritisieren. Außenminister Mevlut Çavusoglu spricht mal von einem „steigenden Druck“, mal von „Unterdrückung“, die „inakzeptabel“ sei. Er meinte nicht nur die Schließung des einzigen krimtatarischen TV-Senders ATR Anfang April, sondern auch die Festnahme des stellvertretenden Präsidenten der Medschlis, Ahtem Ciygoz.

Zudem sind Ankara Razzien des russischen Geheimdienstes FSB in Moscheen und Koranschulen sowie willkürliche Hausdurchsuchungen ein Dorn im Auge. Bis zu 19 Tataren gelten Berichten der Opposition zufolge als vermißt, zwei seien tot aufgefunden worden. Rußland verweist darauf, daß islamische Extremisten mit Hilfe Kiews und westlicher Geheimdienste Anschläge auf der Krim organisieren und den inneren Frieden unterminieren könnten.

Doch die angekündigte Provokation blieb aus. Da das öffentliche Gedenken in der Hauptstadt Simferopol untersagt war erklommen hunderte Krimtataren Chatyr-Dag nahe der Schwarzmeerstadt Alushta und beteten für die Opfer der Deportationen.

Auch in Kiew fand im Beisein Hunderter Exiltataren eine Gedenkfeier statt. Derweil zog der ukrainische Präsident Petro Poroschenko Parallelen: „Heute, unter den Bedingungen der Besatzung, leidet das krimtatarische Volk wieder unter dem Terror und der Unterdrückung seitens des Moskauer Regimes.“