© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/15 / 22. Mai 2015

Ins Blickfeld der Blockwarte gerückt
Politische Korrektheit: Herfried Münkler, Politikwissenschaftler an der Humboldt-Universität, wird von anonymen Bloggern unter Verdacht gestellt / Sorge um Rufschädigung
Karlheinz Weißmann

Münkler-Watch“ ist eine unerfreuliche Begriffsbildung und eine unerfreuliche Sache. Es handelt sich um einen Blog, den Studenten der Berliner Humboldt-Universität betreiben und in dem sie die Vorlesungen des Politikwissenschaftlers Herfried Münkler (63) weniger referieren als benoten, und zwar nicht nach fachlicher Qualität und didaktischer Güte, sondern nach dem Grad ihrer politischen Korrektheit.

Der oder die anonymen Verfasser rechtfertigen ihr Vorgehen damit, daß man sich nicht darauf beschränken dürfe, den offenen Faschismus zu bekämpfen, sondern schon der „Extremismus der Mitte“ als Feind zu brandmarken sei. Ihr Kriterienkatalog ist am treffendsten abzulesen an der Liste der Verdammungsvokabeln, mit denen Münkler bedacht wird: Sexismus, Chauvinismus, Rassismus, Militarismus, Eurozentrismus. Man wirft dem Politikwissenschaftler fehlende Bereitschaft zum Gendern vor und Gefühllosigkeit in bezug auf die Flüchtlingsmassen, die nach Europa strömen; seine Feststellungen im Hinblick auf die Funktionstüchtigkeit des Nationalstaates und das Wesen des Krieges können nach Meinung von Münkler-Watch nur als Rechtfertigung verstanden werden.

Ein Versuch, jemanden mundtot zu machen

Wahrscheinlich wäre die ganze Angelegenheit ein Internum der Universität geblieben, hätten sich nicht einige Zeitungen und Netzpublikationen des Themas angenommen. So erfuhr eine breite Öffentlichkeit von den Vorgängen und auch, daß Münkler bereits das dritte Opfer dieses Vorgehens war (nach dem Soziologen Michael Makropoulos und dem Historiker Jörg Baberowski) und die Drahtzieher der Aktion in einer trotzkistischen Kleinstgruppe zu suchen sind.

Prompt erschien in der Vorlesung Münklers am 12. Mai eine ganze Reihe von Journalisten, was wiederum anzeigt, daß dessen Sorge in bezug auf Rufschädigung und das Entstehen einer Atmosphäre des Verdachts nicht ganz unbegründet ist. „Es ist eine eigentlich unerträgliche Situation“, äußerte Münkler, „unter diesen Umständen der permanenten Denunziationsdrohung mit sinnentstellenden bis das Gegenteil des Gesagten behauptenden Zitaten eine Vorlesung halten zu müssen.“

Allerdings sind die meisten Stellungnahmen in bezug auf Münkler-Watch eindeutig negativ: Das Spektrum reicht vom Vorwurf der Feigheit wegen der Anonymität der Beiträger bis zur Denunziation und Zensur. Selbst in der Studentenschaft scheint das Vorgehen kaum Zustimmung zu finden. Zu den wenigen, die sich bisher auf die Seite der Blogger stellen, gehört ausgerechnet der FAZ-Mann Patrick Bahners, der für die Studenten das Machtgefälle zwischen Lehrenden und Lernenden in Anschlag bringt und die Anonymität mit dem Hinweis auf die angelsächsische Tradition der ungezeichneten Besprechung in so renommierten Organen wie dem Times Literary Supplement verteidigt.

Nun kann Bahners kaum entgangen sein, daß weder der eine noch der andere Bezug paßt. Der erste nicht, weil klar ist, daß es sich keineswegs um – wenngleich scharfe – Kritik in der Sache handelt, sondern um den Versuch, jemanden mit anderer politischer Auffassung mundtot zu machen; bemerkenswerterweise wird eine Studentin mit der Einschätzung zitiert, daß ein Professor, der nicht das Renommee Münklers habe, schon entlassen worden wäre. Der zweite nicht, weil die Beschränktheit der Mitarbeiter von Münkler-Watch aus jedem Beitrag spricht. Daß sie die öffentliche Auseinandersetzung nicht nur aufgrund der rhetorischen Überlegenheit Münklers zu fürchten hätten, ist offensichtlich.

Es liegt insofern die Vermutung nahe, daß es Bahners bei seinem Schulterschluß um etwas anderes geht: nämlich um den Widerwillen, den ihm der „Sound“ von Aussagen Münklers einflößt. Was damit genau gemeint ist, führt Bahners nicht aus, aber wahrscheinlich spielt er auf Münklers Neigung an, jene Barrieren in Frage zu stellen, die um die Politikwissenschaft in Deutschland aufgestellt sind.

Errichtet wurden die schon bei der Organisation des bis dahin unbekannten Faches in der Nachkriegszeit. Die Siegermacht USA hatte es von Anfang an darauf abgesehen, im Rahmen ihres Reeducation-Programms die Schlüsselstellung der Historiographie und der klassischen Staatslehre im Geistesleben zu brechen. An ihre Stelle sollte eine „Demokratiewissenschaft“ treten, die gar keine zweckfreie Erkenntnis zum Ziel hatte, sondern eine Art intellektuelle Dienstleistung für das westdeutsche Gemeinwesen.

Die Folge war nicht nur das in vieler Hinsicht beklagenswerte Niveau des neuen Fachs, sondern auch eine immer weiter fortschreitende Ideologisierung, die zwar kaum den Erwartungen der Schöpfer entsprach, aber doch dazu führte, daß sich hier flächendeckend Auffassungen durchsetzen konnten, die nur linke oder bestenfalls linksliberale Positionen als legitim betrachteten und gleichzeitig die Reflexion der Lage, in der die eigene Disziplin entstanden war, notorisch verweigerte. Das „konkrete historische Subjekt“, schrieb der Politikwissenschaftler Hans-Joachim Arndt über seine Disziplin, werde grundsätzlich „ausgeblendet“.

Münkler meidet zwingende Schlußfolgerungen

Daß Münkler gegen diese Generaltendenz opponiert, ist nicht neu. Er neigt seit je dazu, sich mit „gefährlichen“ Themen zu befassen. In seiner Dissertation ging es um Machiavelli, in seiner Habilitation um den Begriff der Staatsräson. Es genügt ansonsten der Blick auf die letzten Veröffentlichungen und den sachlichen Ton, in dem er nicht nur die Wiederkehr der Gewalt als logisches Ergebnis internationaler Prozesse beschreibt, die Bedeutung der Geopolitik hervorhebt oder auf die produktive Funktion des politischen Mythos hinweist. Das alles muß schon seine Kollegen nachhaltig irritieren und erst recht heutige Studenten, die nie gelernt haben, daß der dichte Schleier politischer Wünschbarkeiten, der sie umgibt, keineswegs die Sache selbst ist, sondern nur eine Möglichkeit, sie zu verbergen.

Wenn Münklers Wirken so lange unbeanstandet blieb, kann man das wahlweise als Zufall oder als Folge taktischen Geschicks sehen. Letzteres ist wahrscheinlicher. Dafür spricht der Erfolg seiner klug plazierten Bücher, und mehr noch die Art und Weise, in der er Schlußfolgerungen meidet, die zwingend wären, aber ganz aus dem Konsens herausführen, oder Namen ausläßt, die in seiner Fachdisziplin auf der „Schwarzen Liste“ stehen. Dieses Vorgehen erlaubt Münkler manche Schärfe. Allerdings nur, weil es bisher genügte, jene Gefahr im Blick zu behalten, die er einmal für Machiavelli beschrieben hat, der bei der Formulierung seiner Theoreme nie recht begriff, „welche Irritationen er auslösen würde“.

Die Irritationsfähigkeit ist aber neuerlich gewachsen, und wer wie Herfried Münkler angesichts der vielen konservativen Kollegen, die sich linkem Gesinnungsterror ausgesetzt sahen, glaubte, daß ihm dergleichen nie widerfahren könne, rückt jetzt ins Blickfeld der Blockwarte, die daran arbeiten, das Land in eine „DDR mit menschlichem Antlitz“ (Broder dixit) zu verwandeln. Wie jede totalitäre Bewegung basiert auch die, die sich an der Humboldt-Universität breitmacht, weniger auf der Allmacht eines Apparats als vielmehr auf dem guten Gewissen derer, die über die reine Lehre wachen. Hinzu kommt die Bereitschaft, nicht aus Zwang oder auf Kommando, sondern aus tiefer innerer Überzeugung jene ans Messer zu liefern, die sich nicht erst durch ein Handeln verdächtig gemacht haben, sondern durch ein Meinen – oder ein vermutetes Meinen.