© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/15 / 22. Mai 2015

Thalers Streifzüge
Thorsten Thaler

Ich werde vom Staat subventioniert. Jedesmal, wenn ich in die Oper oder ins Theater gehe, bezuschußt der Berliner Senat meine Eintrittskarte. Jüngstes Beispiel: In der zweiten Mai-Woche besuchte ich in der Philharmonie eine konzertante Aufführung von Richard Strauss’ „Elektra“ mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester unter der Leitung von Marek Janowski und ausgezeichneten Sängerinnen wie Catherine Foster in der Titelpartie, Camilla Nylund als deren Schwester Chrysothemis sowie Waltraud Meier als Klytämnestra. Die Karte für einen guten Platz in Block A kostete erschwingliche 49 Euro. Erschwinglich deshalb, weil das Land Berlin jeden zahlenden Besucher der Rundfunk-Orchester und -Chöre GmbH mit etwa 228 Euro bezuschußt. So steht es jedenfalls in dem vorläufigen Jahresbericht der Senatsverwaltung für Kulturelle Angelegenheiten per 31. Dezember 2014.

„Ich bin überrascht, wie günstig manches ist“, sagte Berlins Kulturstaatssekretär Tim Renner im vergangenen Herbst der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Er kündigte an, seine Verwaltung wolle „neu schauen, wie wir Preisstrukturen gestalten“. Laut Jahresbericht erhalten die beiden größten Opernbühnen Zuschüsse pro zahlendem Besucher von 229,60 Euro (Deutsche Oper) beziehungsweise 274,20 Euro (Staatsoper). Bei der Stiftung Berliner Philharmoniker schießt Berlin 70,90 Euro dazu, Konzerthaus-Besucher werden mit 122,20 Euro subventioniert.

In Berlin gibt es derzeit 37 institutionell geförderte Theater, Orchester und Tanzgruppen, die im vorigen Jahr insgesamt über 3,1 Millionen zahlende Besucher zählten. Die Auslastung der Deutschen Oper betrug 77 Prozent, die der Staatsoper 83 Prozent. Den Spitzenplatz mit einer Auslastung von 89 Prozent belegte die Stiftung Berliner Philharmoniker.

Gespräch mit einem kulturverständigen Autor und Dozenten über die Subventionen im Kunst- und Kulturbetrieb. Ich spiele den Advocatus Diaboli, provoziere mit der Frage, ob denn diese horrenden Staatszuschüsse sein müßten. Er hält dagegen: Kunst und Kultur dienten der gesellschaftlichen Selbstverständigung. Wenn deren Notwendigkeit aus einem wirtschaftsliberalen Weltverständnis heraus verkannt oder gar geleugnet und Kunst nur noch als „Surplus“ betrachtet werde, führe das zu absterbenden Gesellschaftsformationen. Nicht alles dürfe durch das Nadelöhr der unmittelbaren ökonomischen Verwertung gehen. Nun, das sehe ich genauso. Der Staat bezuschußt nicht mich, er investiert in seine eigene Zukunft.