© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/15 / 22. Mai 2015

Einmal Südamerika und kein Zurück
Repräsentant der „Welt von Gestern“: Eine Ausstellung in München präsentiert Stefan Zweigs Abschied von Europa als kulturgeschichtliches Ereignis
Felix Dirsch

Stefan Zweig ist einer der populärsten Literaten des 20. Jahrhunderts. Seine großen Romane (unter anderem „Sternstunden der Menschheit“, „Maria Stuart“ und „Marie Antoinette“) erreichten schon zu seinen Lebzeiten ein Millionenpublikum und werden heute noch in großer Zahl verkauft. Bereits in jungen Jahren zählte er zu den herausragenden Repräsentanten der Wiener Belle Époque.

Angesichts der anhaltenden Bedeutung Zweigs ist es auch ohne konkretes Jubiläum nicht begründungsbedürftig, wenn das Wiener Theatermuseum bis zum Januar dieses Jahres eine gut besuchte Ausstellung über Zweigs „Abschied von Europa“ veranstaltete, die derzeit im Münchner Literaturhaus gezeigt wird.

Der Titel der Präsentation deutet ihren Schwerpunkt an: die mittleren und späteren Jahre des Erfolgsautors. Wer das Literaturhaus kennt, weiß um seine relativ begrenzten Kapazitäten. In einem etwas größeren Raum wird gleichwohl ein hervorragender Einblick in das Schaffen des österreichischen Literaten gegeben.

Die Ausstellung setzt besondere Akzente auf das Spätwerk, vornehmlich auf den Erinnerungsband „Die Welt von Gestern“ und die „Schachnovelle“. Letzteres Buch, das Zweig kurz vor seinem Freitod in Südamerika fertigstellte, wird den Besuchern durch Text- und Filmausschnitte nahegebracht. Prominente Schauspieler wie Curd Jürgens und Mario Adorf waren 1960 an dem Kinoerfolg beteiligt. Thema ist die Auseinandersetzung Zweigs mit dem scheinbar übermächtigen Faschismus, der im Hintergrund überall präsent ist. Kaum ein Autor hat die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg – ungeachtet ihrer Schattenseiten – so glorifiziert wie der wohlhabende Kosmopolit, dessen prächtige Villa auf dem Salzburger Kapuzinerberg ein wenig den Glanz der Donaumonarchie über die Zäsur von 1918 hinüberrettete.

Seinen Freitod 1942

inszenierte er sorgfältig

Obwohl der Weltbürger Zweig, der schon in jüngeren Jahren weite Reisen in außereuropäische Gefilde unternahm, bereits 1934 emigrierte, als der Ständestaat unter Engelbert Dollfuß einen politischen Kurswechsel vollzog, dreht sich die Schau nicht zuletzt um die Herrschaft des Nationalsozialismus in Österreich. Eine der beeindruckendsten Darstellungen ist das Modell des Wiener Grand Hotels Métropole am Franz-Josefs-Kai, dem Zweig in der „Schachnovelle“ ein Denkmal setzte. Das repräsentative Gebäude diente ab 1938 als Gestapozentrale, in der viele Verhöre und Folterungen stattfanden. Eines der vielen Schicksale wird in Form von Tondokumenten präsentiert. Die mittlerweile verstorbene Rosa Grossmann schildert ihre Erfahrungen in dem berüchtigten Keller. Umrahmt ist dieser Teil der Ausstellung von dunklen Ledermänteln als Erkennungszeichen für die Geheime Staatspolizei.

In Vitrinen, die sich zumeist an der Wand befinden, werden viele Dokumente, Bilder und andere Erinnerungsstücke gezeigt. Deutlich wird in diesem Kontext, daß Zweig einer der führenden europäischen Intellektuellen der Zwischenkriegszeit war und ein Netz vielschichtiger Kontakte zu bekannten Zeitgenossen pflegte. Zu seinen Freunden zählte der Franzose Romain Rolland, wie Zweig überzeugter Europäer. Ebenso bestanden Verbindungen zu Arturo Toscanini und Joseph Roth. Viele Briefe sind ein Ausdruck seiner Weltläufigkeit.

Nachdem Zweig Österreich verlassen hatte, lebte er in England. Bei nicht allen Emigranten war er beliebt, unterließ er doch allzu pointierte politische Aussagen. Als 1940 eine deutsche Invasion nicht ausgeschlossen werden konnte, übersiedelte der überzeugte Pazifist nach Südamerika. In Brasilien faßte er mit seiner zweiten Frau Fuß. Ein Film, der vor zwei Jahrzehnten im brasilianischen Fernsehen ausgestrahlt wurde und in der Ausstellung in deutscher Sprache zu sehen ist, belegt das Ansehen und den Umfang der Leserschaft, die der Auswanderer in relativ kurzer Zeit in seiner neuen Heimat gewann. Ganz wohl fühlte er sich allerdings nicht, vermißte er doch seine Bibliothek. Von der deutschen Sprache konnte er ohnehin nie lassen. Sie hat ihn unsterblich werden lassen.

Zweig litt schon einige Zeit an Depressionen. Die Zerfleischung der europäischen Völker und der zeitweilige Siegeszug der Deutschen trugen das Ihrige zu dieser Erkrankung bei. Seinen Freitod 1942 inszeniere er sorgfältig. Der Abschiedsbrief an seine erste Frau Friderike und die Aufnahmen, die kurz nach seinem Suizid sowie dem seiner Frau in Petrópolis entstanden sind, legen davon Zeugnis ab. Die brasilianische Regierung ordnete ein Staatsbegräbnis an.

Ein ausführlicher Katalog mit Essays, die Leben und Werk des Schriftstellers beleuchten, vertieft die in der Ausstellung gewonnenen Eindrücke. Mancher Besucher wird wohl nach diesen Anregungen eine aber- oder erstmalige Lektüre aus dem großen Œuvre des Alteuropäers nicht verschmähen.

Die Ausstellung „Stefan Zweig – Abschied von Europa“ ist bis zum 28. August im Literaturhaus München, Salvatorplatz 1, täglich von 11 bis 19 Uhr, Sa./So. 10 bis 18 Uhr, zu sehen. Telefon: 089 / 29 19 34 - 0 Der Ausstellungskatalog (Brandstätter Verlag) kostet 34,90 Euro. www.literaturhaus-muenchen.de