© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/15 / 22. Mai 2015

Blick in die Medien
Früher war nicht alles besser
Tobias Dahlbrügge

Roland Tichy, einst Chefredakteur der Wirtschaftswoche, bis er im vergangenen Jahr von Miriam Meckel vertrieben wurde, bricht auf seinem Blog eine Lanze für das Internet und warnt Printjournalisten davor, das Netz nur als lästiges Einfallstor für den Pöbel zu sehen.

Tichy schreibt, er stelle sich manchmal vor, wie Journalisten abends vor dem Zubettgehen beten: „Lieber Gott, laß morgen früh das Internet verschwunden sein!“

Als ob Papier automatisch Texte veredeln würde. Stürmer, Prawda und Neues Deutschland erschienen schließlich auch auf Papier. Die Qualitätspresse fürchtet in Wahrheit nicht, daß im Internet nur noch Lügen stehen, sondern daß das Internet ihre Lügen aufdeckt.

Die Online-Leser werden in den Kommentarspalten zur Kontrollinstanz.

Früher war ein Ausweis für das Archiv nötig, heute können alle googeln. Und oft finden Netzleser schneller zu besseren Quellen und teilen das umgehend mit. Der Verlust des Wissensvorsprungs verbreitet Unbehagen in den Pressehäusern, ist aber demokratisch gesehen zu begrüßen.

Die gute alte Zeit, in der Leserbriefschreiber an der Suche nach einer Briefmarke scheiterten, kommt nicht wieder. Stattdessen werden die Online-Leser in den Kommentarspalten zur Kontrollinstanz, kontern mit Fakten und verweigern die Meinungsgefolgschaft. Das gefällt den Volkspädagogen nicht: Medienmachen könnte so schön sein, ohne Leser!

Die Leser sagen: Liebe Journalisten, überrascht uns mal wieder, statt alle immer dasselbe zu schreiben: Ohne Euro gibt es Krieg, Atomkraft ist böse, die Energiewende ist gar nicht teuer. Und so weiter.

Warum wollen Medienhäuser unbedingt arbeiten wie vor hundert Jahren? Noch in den achtziger Jahren streikten britische Pressegewerkschaften für die Beibehaltung des Bleisatzes! Dieses Beispiel sollte Warnung genug sein. Das Fazit des Nicht-mehr-Druck-Journalisten Tichy: Das Internet ist gut für den Journalismus insgesamt, denn es ist mehr als nur ein Verbreitungsweg – es aktiviert die Konsumenten.