© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/15 / 22. Mai 2015

Braucht Deutschland ein Zuwanderungsgesetz?
Wichtiger ist eine gute Familienpolitik
Norbert Geis

Wir haben anerkannt gute Regelungen für die Zuwanderung. Wir benötigen kein neues Zuwanderungsgesetz. Es geht um den Ausgleich der Interessen unseres Landes mit den Interessen derer, die zu uns kommen wollen.

Das ist bisher weitgehend gelungen. Deutschland ist nach einer Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) innerhalb der Europäischen Union das beliebteste Zielland für dauerhafte Zuwanderung. Im Jahre 2013 stammten zirka 61 Prozent aller Zuwanderer nach Deutschland aus der EU. Der Trend setzt sich fort. Auch Menschen aus Staaten außerhalb der EU, die zur Aufnahme einer Arbeit, einer Ausbildung oder eines Studiums zuwandern, sind bei uns willkommen. Im Wintersemester 2013/14 kamen mehr als 300.000 Studierende aus dem Ausland an deutsche Hochschulen.

Niemand sollte sich der Täuschung hingeben, wir könnten mit Zuwanderung unsere Geburtenkrise lösen. Dann müßten jährlich 3,4 Millionen Menschen zuwandern, wenn das Verhältnis der über 65jährigen zu den 16- bis 64jährigen stabil bleiben soll.

Diese Entwicklung zeigt die hohe Wertschätzung, die Forschung und Studium in Deutschland bei ausländischen Studenten genießen. Auch Arbeitskräfte, insbesondere aber Fachkräfte, sind bei uns hochwillkommen. Mit dem Blue-Card-Plus-Gesetz 2012 wurden die Regelungen zur Arbeitsmigration nochmals erheblich vereinfacht. Mit diesen Rechtsänderungen zählt Deutschland zu den Ländern mit den günstigsten Zuwanderungsregelungen für Fachkräfte, wie von der OECD bestätigt wird. Auch der Nachzug von Drittstaatsangehörigen zur Familienzusammenführung – 2013 waren es rund 44.000 Personen – bereitet keine Probleme.

Wer behauptet, Deutschland würde sich gegen Zuwanderung sperren, kennt die Realität nicht. Bei uns leben 16 Millionen Deutsche mit Migrationshintergrund. Die jährliche Zuwanderung beträgt weit über eine Million. Der Wanderungsgewinn liegt bei knapp 500.000.

Jedoch wandern jährlich 800.000 meist sehr hoch qualifizierte junge Frauen und Männer aus Deutschland aus – nicht aus Not, sondern weil sie im Ausland bessere berufliche Bedingungen finden. Dies ist eine Frage vor allem an die Wirtschaft. Sie muß Wege finden, daß diese hochqualifizierten jungen Menschen, die bei uns aufgewachsen sind und hier studiert haben, auch hier ihre berufliche Zukunft finden. Würde diese Abwanderung auch nur halbiert, wäre der Zuwanderungsgewinn noch weit höher.

Große Sorge bereitet die steigende Zuwanderung in unser Sozialsystem. Die weiter ansteigende Zahl von Asylbewerbern und Flüchtlingen kann uns nicht gleichgültig sein. In diesem Jahr, so die Prognose, werden es 350.000 sein, die aus ihrer Heimat geflohen sind und bei uns bessere Lebensbedingungen suchen.

Zweifellos müssen wir unseren humanitären Verpflichtungen nachkommen. Im Verhältnis zu anderen europäischen Staaten aber nehmen wir bei der Aufnahme von Flüchtlingen zusammen mit Schweden den Spitzenplatz ein.

Auf Dauer kann jedoch dieses Problem nur gelöst werden, wenn der Westen mithilft, in den Herkunftsländern bessere Lebensbedingungen zu schaffen. Hier ist die Solidarität aller westlichen Staaten gefordert. Dies gilt nicht nur für eine gerechtere Verteilung der Flüchtlinge auf die einzelnen EU-Länder, sondern insbesondere geht es um eine gemeinsame Initiative der westlichen Staaten zur Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen in ihren Ursprungsländern selbst. Nur wenn dort die Armut bekämpft wird, wenn die jungen Menschen in ihrer Heimat eine Zukunft sehen, werden sie bleiben und nicht fliehen. Andernfalls geht der Exodus aus den Drittländern weiter.

Niemand sollte sich allerdings der Täuschung hingeben, wir könnten mit Zuwanderung unsere Geburtenkrise lösen. Es handelt sich um eine Krise, die in ihrer Dramatik noch gar nicht richtig erfaßt ist.

Wir werden in Zukunft mehr Pflegestellen für alte Menschen als Plätze in Kindertagesstätten benötigen. Wir werden mehr Rentner und Ruheständler zu versorgen haben, als es Männer und Frauen gibt, die im Erwerbsleben stehen und in die Sozialversicherungen einzahlen.

Deshalb hofft die Politik auf Zuwanderung. Nach einer Studie der Vereinten Nationen aber müßten dann jährlich 3,4 Millionen Menschen zuwandern, wenn das Verhältnis der über 65jährigen zu den 16- bis 64jährigen stabil bleiben soll. Die Deutschen wären bald eine nationale Minderheit unter anderen nationalen Minderheiten. Dies wird zu Konflikten führen. Wer anderes erwartet, lebt auf einem anderen Stern.

Es ist höchste Zeit, daß wir die Familienpolitik zu dem zentralen Thema unserer Politik machen. Denn es geht um die Zukunft unserer Gesellschaft.






Norbert Geis, Jahrgang 1939, zählt zu den profiliertesten Rechts- und Innenpolitikern der CSU und gehörte von 1987 bis 2013 dem Deutschen Bundestag an.