© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/15 / 22. Mai 2015

Feldgrau im Stacheldraht
Der Erste Weltkrieg aus der Grabenperspektive
Oliver Busch

Kriegsgeschichte von unten möchte Albrecht Rothachers Darstellung vom Leben und Sterben deutscher Soldaten zwischen 1914 und 1918 schreiben. Das Material dafür hat der Autor in dreijähriger Recherche zusammengetragen. Zum besseren Verständnis der Örtlichkeiten scheute Rothacher selbst vor Fahrradtouren in die „kalt gewordene Hölle“ nicht zurück, zu den heute sich „langsam entvölkernden Kleinstädten und Bauerndörfern“ Nordfrankreichs, dem einstigen Zentrum der Materialschlachten, „wo Millionen junger Männer jahrelang schanzen, frieren, schlafen, schießen, leiden und sterben mußten“.

Angesichts belletristischer Welterfolge wie Erich Maria Remarques „Im Westen nichts Neues“ oder Ernst Jüngers „In Stahlgewittern“ sowie endloser Reihen an Divisions- und Regimentsgeschichten sollte man glauben, hinreichend über „konkrete Lebens- und Leidensumstände“ an der Westfront informiert zu sein. Doch die Truppengeschichten schildern das Geschehen für Rothachers Geschmack zu sehr aus der Perspektive der Stäbe. Und die Erlebnisse des Leutnants Jünger seien, ungeachtet seines sehr hohen Tötungs- und Verwundungsrisikos, das er mit allen „Frontschweinen“ teilte, eben die eines Offiziers und somit nicht repräsentativ für die feldgraue Masse.

Um diese Lücken im kollektiven Gedächtnis etwas zu verkleinern, veröffentlicht Rothacher die Briefe des Gothaer Kriegsfreiwilligen Wilhelm Hansen, und dazu druckt er nach 1945 verfaßte Erinnerungen eines Kanoniers an Verdun ab. Und als Herzstück seiner Arbeit verfolgt er anhand ihres archivalisch überlieferten Kriegstagebuchs den Leidensweg der 5. Kompanie des württembergischen Infanterieregiments 124, mit dessen 7. Kompanie auch Leutnant Erwin Rommel ins Feld zog.

Ob diese neuen Quellen tradierte Vorstellungen vom Weltkriegsalltag grundlegend korrigieren werden, ist sicher zu bezweifeln. Aber unwiderleglich ist Rothachers bitterer Vorwurf an die bundesdeutsche Historikerzunft, nicht vor 40 Jahren die überlebende Kriegsgeneration nach dem Vorbild des Oral-History-Projekts des Imperial War Museums befragt zu haben. Heute, wo nur noch Archivalien greifbar sind, seien die Erfahrungen dieser Opfer des Krieges unwiederbringlich verloren.

Albrecht Rothacher: Die Feldgrauen. Leben, Kämpfen und Sterben an der Westfront 1914–1918. Lindenbaum-Verlag, Beltheim-Schnellbach 2014, 718 Seiten, Abbildungen, 49,80 Euro