© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/15 / 22. Mai 2015

Putin wehrt nur die Pax Americana ab
Wolfgang Bittner schreibt „dem Westen“ ein hohes Maß Verantwortung am Ukraine-Konflikt zu
Thomas Fasbender

Die Eroberung Europas durch die USA“ – bis zur letzten Zeile seines Buches zur Ukraine-Krise serviert der Schriftsteller Wolfgang Bittner Klartext. Zum Freund der Mainstream-Medien macht er sich damit nicht. Schonungslos beschreibt er den Werdegang des Konflikts, wie er eben auch gesehen werden kann: als Teil einer vor allem von den USA vorangetriebenen Strategie, Mittel- und Osteuropa in das große Reich der Pax Americana einzugliedern.

Da mögen sich unsere transatlantischen Eliten noch so sträuben, im Volk trauen durchaus viele „dem Westen“ zu, daß er unter dem Mäntelchen von Demokratie und Freiheit eine im Kern imperiale Strategie verfolgt. Und dabei auch nicht vor Informations-, Wirtschafts- und echten Kriegen zurückschreckt. Dabei präsentiert Bittner keine historische Analyse. Er unternimmt auch nicht den Versuch, die „Wahrheit“ rund um die Vorgänge in Kiew und auf der Krim 2014 anhand der wenigen gesicherten Fakten herauszuschälen. Das ist nicht sein Ehrgeiz. In einem Schlüsselsatz spricht er davon, daß die „weitaus überwiegende Mehrheit der westlichen Medien (…) zu Werbeträgern insbesondere der US-Propaganda verkommen“ sei. Diese Aussage unterlegt er mit Fakten, wobei er das Narrativ eines vom Westen initiierten Konflikts der realen Berichterstattung in den Medien gegenüberstellt.

Die Vorgänge in der Ukraine sind nicht singulär; letztendlich stehen sie in einer Reihe humanitärer und politischer Katastrophen, die sich der sogenannten werteorientierten Außenpolitik eines von seinem Sieg über den Kommunismus besoffenen Westens verdanken. Die treibende Kraft ist die neokonservative amerikanische Schule; ihre Opfer leiden außer in der Ukraine auch in Syrien und im Irak, in Afghanistan und in Libyen. Bittners Appell: „Die USA und einzelne der Nato angehörende Staaten müssen aufhören, für ihre machtpolitischen und wirtschaftlichen Interessen andere Länder zu unterminieren und politisch aufzumischen.“

Die Frage spaltet: Wer verantwortet nun das Chaos im Ausgang arabischer Frühlinge und oranger Revolutionen? Die Gaddafis, die Mubaraks, Assads und Janukowitsche? Oder der Westen, mit dessen Hilfe ihre Länder faktisch der Anarchie entgegentreiben?

Der Ukrainestreit, der auch in Deutschland für zwei Lager sorgt, gründet in dieser Frage. Unsere Politiker kennen nur eine Antwort: Die Zukunft des Planeten gehört der Demokratie à la Westminster und Washington. Die Medien helfen nach, und das nicht immer redlich. Dies vor Augen, zerpflückt Bittner die im Westen veröffentlichte Meinung. Wenn etwa die Ereignisse objektiv Rätsel aufgeben, die Medien jedoch Schuldzuweisungen präsentieren – oder wenn Informationen, die nicht der „Parteilinie“ entsprechen, unterdrückt und vorenthalten werden.

Differenzierte Formulierung wäre der Sache dienlicher

So wurde am Tag nach dem Absturz des malaysischen Liners MH17, als noch gar keine Erkenntnisse vorlagen, bereits getitelt, Rußland oder gar Putin persönlich trage die Verantwortung. Als hingegen rechte ukrainische Nationalisten in Odessa im Spätsommer 2014 fast fünfzig prorussische Landsleute dem Feuertod überantworteten, blieb die Berichterstattung vage und kurz. Man stelle sich den Aufschrei vor, wenn fünfzig Anhänger der Kiewer Regierung in Donezk von der Hand prorussischer Rebellen den Tod gefunden hätten.

Ein Wort zu den Schwächen. Hält Bittner den US-Präsidenten Obama wirklich für „eine Ausgeburt des Schreckens für die ganze Welt“? Und meint er im Ernst, die amerikanischen Medien seien „unverhältnismäßig bevölkert von professionellen Strebern“? Von manchen Pastoren sagte man früher, sie predigten nur für die Getauften. Es gibt in diesem Konflikt viele, die mit dem täglich Brot der Leitmedien unzufrieden und auf der Suche nach der Wahrheit sind. Indem Bittner sich pauschal auf den Westen einschießt, zieht er die Zweifler jedoch nicht auf seine Seite. An mancher Stelle wären differenzierte Formulierungen im Kontrast zu der völlig zu Recht angeprangerten parteiischen Medienberichterstattung der Sache dienlicher gewesen.

Das wird auch nicht besser, wenn er über den ukrainischen Premier Jazenjuk schreibt, ein „wahrscheinlich gefälschtes, aber bezeichnendes Foto“ zeige ihn beim Hitlergruß auf dem Maidan. Oder wenn er die ukrainische Staatsverschuldung mit 17,8 Billionen US-Dollar ansetzt – die reale Zahl ist um den Faktor 1.400 kleiner.

Es gibt in Deutschland eine Betroffenheitskultur, die empört vermerkt, Rußland habe mit Aktionen wie dem Krim-Anschluß die vermeintlich kuschelige Nachkriegs-Friedensordnung verletzt. Ihr entspricht, auf der Gegenseite, die Betroffenheitskultur der Antiamerikaner, die den USA anlasten, daß sie eine knallharte Eurasien-Strategie fahren. Beide führen, wie alle Betroffenheitskulturen, ins Reich des Unpolitischen, dorthin, wo man in Kriterien wie Gut und Böse denkt, nicht Richtig und Falsch. In diesem Reich verehrt man die Moral und hält Realpolitik für Zynismus.

Wohin ist Bittner unterwegs? Empört ihn das Böse oder ärgert ihn – und da hätte er nun wirklich recht –, daß wir Deutsche einen eigenen, realpolitischen Kurs in dieser Krise gar nicht suchen? Die Antwort bleibt er schuldig.

Wolfgang Bittner: Die Eroberung Europas durch die USA. Zur Krise in der Ukraine. Verlag André Thiele, Mainz 2015, broschiert, 148 Seiten, 12,90 Euro