© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/15 / 22. Mai 2015

Wie sich ein Entwicklungsland das Wasser abgräbt
Boliviens ehrgeiziges Lithium-Projekt könnte im ökologischen Desaster enden
Christoph Keller

Das arme Bolivien verfügt über das größte Lithiumvorkommen der Welt. Angesichts der auf dem Weltmarkt starken Nachfrage nach dem für Mobiltelefone und Elektroautos gleich wichtigen Leichtmetall hat Boliviens sozialistischer Präsident Evo Morales (JF 6/15) bereits 2008 Lithium zur „strategischen Ressource“ ausgerufen. Seitdem wird am Salzsee Salar de Uyuni im Südwesten des Landes versucht, aus eigener Kraft sämtliche Produktionsstufen vom Trocknen des Salzwassers bis zum fertigen Lithium-Akku komplett in Bolivien ablaufen zu lassen.

Mit mäßigem Erfolg, wie der Kölner Journalist Christoph Sterz auf seiner Erkundungstour im Andenstaat herausfand (Welt-Sichten, 3/15). Denn die Pilotfabrik in der Provinzhauptstadt Llipi produzierte statt der 2013 versprochenen monatlich 40 Tonnen Lithium bisher insgesamt nur zwölf Tonnen. Das Werk bezog Bolivien schlüsselfertig aus China, weil dem Entwicklungsland technologisches Potential fehlt. Ungeachtet der Autarkie-Ideologie nahm der Staatsbetrieb inzwischen auch ein internationales Konsortium mit ins Boot, um am Salzsee neben Lithium Kalium und Magnesium zu fördern.

Die indigene Agrarkultur steht auf dem Spiel

Da das Projekt von der Öffentlichkeit abgeschirmt ist, wachsen nicht nur Zweifel am ökonomischen Sinn des Unternehmens. Es nimmt auch die Angst vor dessen ökologisch mutmaßlich katastrophalen Folgen zu. Die geplanten Industrieanlagen zur Produktion von Lithiumkarbonat benötigen nämlich monatlich 400.000 Kubikmeter Wasser. Dafür dürfte es nicht ausreichen, den durch den Salzsee fließenden Rio Grande anzuzapfen. Es müßte daher jahrtausendealtes Wasser unter dem See an die Erdoberfläche gepumpt werden. Das wäre ein unkalkulierbarer Eingriff in dieses Ökosystem.

Erstes Opfer könnte die indigene Agrarkultur um Llipi sein, wo das Pseudogetreide Quinoa aus der Familie der Fuchsschwanzgewächse, auch Inkareis genannt, auf mineralhaltigen Böden ausgezeichnet gedeiht. Schon heute ist die Wasserversorgung dafür ein großes Problem. Sollte zudem bald Grundwasser dem Lithium-Projekt zufließen, wäre der Quinoa-Anbau mindestens „gefährdet“.