© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/15 / 29. Mai 2015

Anne Erelle täuschte den IS und schrieb einen Bestseller darüber. Nun droht ihr der Tod.
Die Terror-Braut
Marc Zoellner

Es sei Liebe auf den ersten Blick gewesen, als Bilel seine Mélody das erstemal sah. Dabei hätten die Unterschiede zwischen beiden kaum größer sein können. Jugendliche zwanzig Jahre zählte die kleine Französin mit der rauchig-femininen Stimme und den aschblonden, schulterlangen Haaren; ihr Gegenüber, ein hochgewachsener, muskulöser Araber mit dichtem Vollbart und einem stetigen Siegerlächeln auf den Lippen, war beinahe doppelt so alt.

Daß Bilel augenblicklich sein Herz an Mélody verlor, wie er ihr schrieb, war wohl der kindlich-naiven Art der jungen Frau zu verdanken, die sich in der multikulturellen Tristesse der Pariser Banlieues einsam und verloren vorgekommen sei. „Ich liebe dich für und vor Allah!“ schrieb er ihr, lud sie ein in sein „prächtiges Haus mit Blick aufs Meer“, wollte sie vom Fleck weg heiraten. Doch zwei Dinge konnte Bilel nicht ahnen: Mélody war nicht Mélody, sondern Anne Erelle. Und für einen Fang wie Bilel hatte die Journalistin bereits seit Monaten ihre Netze ausgebreitet.

„Als ich das erstemal mit ihm skypte, erwartete ich, jemand Heruntergekommenen zu erblicken“, berichtet Erelle später. „Bilel aber war schick gekleidet, militärisch, offensichtlich trug er eine Ausgehuniform.“ Denn Bilel, so erklärte er seiner Angebeteten stolz, sei kein Geringerer als die Nummer eins der französischen Dschihadisten an der Seite des Terrorführers Abu Bakr al-Baghdadi, des selbsternannten Kalifen des Islamischen Staats.

Rund 20.000 Freiwillige aus aller Welt fanden bislang ihren Weg in den Islamischen Staat. Bilel, der ursprünglich aus Frankreich stammt und sich nun passend Abu Bilel al Faransi nennt, war einer von ihnen. Auch die hübsche Mélody sollte künftig zur Gruppe der Auserwählten gehören. Den blutigen Krieg versucht Bilel ihr wegzusäuseln: „Wir sprechen zu viel über die Toten“, beruhigt er sie. „Hier ist alles schön, und es gibt soviel zu sehen. Das Meer ist wundervoll und die Berge sind faszinierend.“

Einige Wochen später saß Mélody bereits im Flugzeug. Über Amsterdam sollte sie nach Istanbul fliegen, von dort aus mit dem Auto die türkisch-syrische Grenze passieren. Im letzten Moment erst brach Erelle ihre verdeckte Recherche ab und gab sich als Journalistin zu erkennen, die für ein Buch Nachforschungen darüber anstellte, wie es dem Islamischen Staat immer wieder gelingt, junge Französinnen auf die Schlachtfelder Syriens zu locken. Ihr Flirt, gestand sie Bilel, war nur aufgesetzt.

Erelles Buch ist in Frankreich ein Bestseller. In fünf Sprachen übersetzt, ist es nun auch auf deutsch unter dem Titel „Undercover-Dschihadistin. Wie ich das Rekrutierungsnetzwerk des IS ausspionierte“ erschienen. Anne Erelle – der Name ist natürlich erneut ein Pseudonym – lebt anonym unter Polizeischutz. Denn im Namen des IS sprach Bilel, in seiner Männlichkeit von ihr gekränkt, inzwischen eine Fatwa gegen sie aus.