© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/15 / 29. Mai 2015

Die Angst vor dem Skandal
Flüchtlingswelle: Deutschland kann den Ansturm von Asylbewerbern kaum noch bewältigen, doch abgeschoben wird selten
Felix Lehmann

Was passiert in Deutschland mit abgelehnten Asylbewerbern? Liefen die Asylverfahren nach Recht und Gesetz, müßte ein Bewerber, dessen Antrag abschlägig beschieden wurde, das Land sofort wieder verlassen. Denn angesichts der weltweiten Krisen und Katastrophen – im Irak, Syrien oder in Libyen, hat die Zahl der Flüchtlinge in Deutschland dramatisch zugenommen. Die Meldungen über Asylbewerberheime, die wegen Überfüllung geschlossen werden, häufen sich. 

Dennoch muß kaum ein abgelehnter Asylbewerber ernsthaft eine Abschiebung befürchten. 2012 mußten lediglich 7.651 Asylbewerber ausreisen. Mit den Vollzugsdefiziten setzte sich bereits eine Arbeitsgruppe aus verschiedenen Bundesländern auseinander. In den Jahren 2009 und 2010 hätten lediglich knapp 15 Prozent der ausreisepflichtigen Asylbewerber auch tatsächlich das Land verlassen. Ein Grund dafür sei vor allem die gute Vernetzung der Lobbygruppen, die durch massiven öffentlichkeitswirksamen Protest und gezielte Verbreitung von Unwahrheiten rechtlich gebotene Abschiebungen zu verhindern wüßten, klagt die Arbeitsgruppe. Manche Behörden würden Abschiebungen aus Angst vor Skandalisierung hinauszögern. 

Nur jeder sechste verläßt das Land

Dabei besteht dringender Handlungsbedarf. Nach einem Tiefstand von 28.018 Asylsuchenden im Jahr 2008 verzeichneten die Behörden im vergangenen Jahr bereits über 200.000 Anträge. Syrer und Iraker machten dabei nur knapp ein Viertel der Antragsteller aus. Für dieses Jahr ist die Tendenz der Asylanträge weiter steigend. Bis April 2015 reichten 114.000 Personen einen Antrag auf Asyl ein. Doch wenn die Politik abgelehnte Asylbewerber weiterhin duldet, werden die bisweilen unhaltbaren Zustände in den Aufnahmeeinrichtungen weiter zunehmen. Auch die zunehmende Zahl an gewaltsamen Zwischenfällen in den Einrichtungen ist kein Zufall, sondern auch auf bewußt unterlassene Abschiebungen durch die Behörden zurückzuführen.

Statistiken der Bundesregierung zeigen, daß vor allem Asylanträge durch Asylbewerber aus dem Kosovo seit Jahresbeginn massiv zunehmen. Allein in diesem Jahr beantragten laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 27.000 Kosovo-Albaner Asyl in Deutschland. Von den 17.000 bisher bearbeiteten Fällen bekamen gerade einmal zwei Antragsteller Asyl. Zum Vergleich: Bei Syrern liegt die Anerkennungsquote bei fast hundert Prozent.

Seit seiner Unabhängigkeit erlebt das Kosovo einen Massenexodus. Doch ob politische Verfolgung wirklich der Hauptgrund der Asylanträge ist – nach Artikel 16 GG immerhin Voraussetzung für die Gewährung von Asyl –, darf bezweifelt werden. Das bestätigte auch der Präsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, Manfred Schmidt, Ende April in der Süddeutschen Zeitung. „Es gibt dort keine politische Verfolgung und damit keinen Grund für Asyl.“

Doch im Kosovo ist die Lage in der Tat trostlos. Zehntausende haben das kleine Land in den vergangenen Monaten verlassen. Ganze Ortschaften sind mittlerweile ausgestorben, das politische System hochgradig korrupt, die Wirtschaft liegt am Boden. Wer keine Beziehungen zur Regierung oder den Mafiabanden hat – der Unterschied existiert ohnehin kaum –, hat keinerlei Zukunft.

Erfolgreicher Widerstand von Lobbygruppen

Die Regierung im Kosovo bemüht sich um Aufklärungskampagnen, doch der Erfolg ist bescheiden. Der Abteilungsleiter für Migration und Reintegration im kosovarischen Innenministerium, Valon Krasniqi, beklagt im Gespräch mit dem Deutschlandradio Kultur: „Die Leute hier wissen, daß zum Beispiel in Deutschland die Rückführungsprozedur oft neun Monate oder ein Jahr dauert. Und sie glauben, wenigstens solange profitieren zu können.“ Das Asylkarussell aus Antrag, Leistungsbezug, Abschiebung und Wiedereinreise eines anderen Familienmitglieds dreht sich also weiter. Doch der Appell des kosovarischen Politikers an die Bundesregierung, das Kosovo als „sicheres Herkunftsland“ einzustufen, verpuffte. Auch die bayerische Staatsregierung blieb mit ihren Mahnungen erfolglos. Man einigte sich lediglich darauf, mehr Personal für die Antragsbearbeitung abzustellen. Dringender wäre jedoch die Beseitigung der Vollzugsdefizite bei den Behörden. Denn neben dem fehlenden politischen Willen scheitern viele Abschiebungen am Widerstand der Lobbygruppen oder dem Versuch mancher Asylbewerbern, sich der Abschiebung zu widersetzen.

Foto: Asylbewerber mit ihrem Hab und Gut in Karlsruhe: Mehr Personal für die Antragsbearbeitung