© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/15 / 29. Mai 2015

Angebliche Kommunikationspanne der Europäischen Zentralbank
Günstlingswirtschaft
Thorsten Polleit

Was die Europäische Zentralbank (EZB) am 19. Mai ablieferte, sollte allen unmißverständlich vor Augen geführt haben, was Günstlingswirtschaft ist. Am Abend zuvor hatte Direktoriumsmitglied Benoît Cœuré auf einer Veranstaltung in London der versammelten Hochfinanz exklusiv erklärt, wie die EZB ihre Schuldpapierkäufe zu verändern gedenkt. Eine Insider-Information, die den Zuhörern die Chance bot, am nächsten Tag, bei Handelsbeginn, sehr viel Geld zu gewinnen – auf Kosten natürlich derjenigen, die nicht zum Abendessen geladen waren. 

Die EZB entschuldigte sich nachfolgend mit dem Hinweis, ein „Prozeßfehler“ habe verhindert, daß der Redebeitrag wie sonst üblich frühzeitig veröffentlicht werden konnte. Doch entschuldbar ist das nicht: Denn die einen hatten sich längst auf Kosten der anderen bereichern können. Ein solches Vorgehen der Geldpolitiker hat System. Es ist üblich, daß sie ihre Politikabsichten vorab unter die Leute bringen, genauer: zunächst nur unter einige ausgewählte „Finanzmarktexperten“, und auch nur in einer verklausulierten Sprache, die Nicht-Finanzmarktexperten nur schwer verstehen können. 

Vor allem die Mächtigen in der Finanzbranche – wie Groß- und Investmentbanken und Hedgefonds – bekommen so als erste Wind davon, wann die Zentralbank die Zinsen verändert, oder welche Wertpapiere sie kaufen wird, oder ob und wann sie Banken mit neuen Krediten versorgt. Mit diesen Vorzugsinformationen ausgestattet, haben die Privilegierten dann die Chance, kräftige Gewinne einzustreichen – zum Nachteil derjenigen, die die exklusiven Informationen nicht erhalten haben. 

Doch die öffentliche Empörung darüber hält sich in Grenzen. Vermutlich deshalb, weil den Außenstehenden nicht klar ist, wie gewaltig die Bereicherung einiger auf Kosten anderer ausfällt; was man nicht weiß, macht bekanntlich nicht heiß. Zudem halten sich vermutlich auch viele Journalisten mit Kritik zurück. Zum einen, weil sie die gezielten Einflüstereien der Zentralbank nicht als Bevorzugung ausgewählter Gruppen, sondern als Erfolgsmethode (best practice) begreifen. Zum anderen hält sich die Kritik vielleicht auch deswegen im Zaume, weil man die eigenen guten Verbindungen zur Zentralbank nicht aufs Spiel setzen will. Schließlich möchte man auch künftig zu Hintergrundgesprächen, Seminaren und Konferenzen eingeladen werden, die die Zentralbanken anbieten. 

Es ist ein Mythos, die Geldpolitik der Zentralbanken würde zum Gemeinwohl beitragen. Sie ist vielmehr eine Politik der Zwangsumverteilung von Einkommen und Vermögen, bei der einige begünstigt werden zu Lasten anderer. So etwas wie eine „gerechte Geldpolitik“ oder eine „gerechte Kommunikation“ der Geldpolitik kann und wird es niemals geben. Denn in der Geldpolitik geht es ja genau darum, einige auf Kosten anderer zu begünstigen.