© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/15 / 29. Mai 2015

Ein düsteres Märchen
Regiedebüt: Ryan Goslings „Lost River“ handelt von einem Fluch, der über einer verfallenen Stadt liegt
Claus-M. Wolfschlag

Ryan Gosling ist bislang als Schauspieler bekannt geworden. Er spielte in dem Liebesdrama „Blue Valentine“, dem Thriller „Drive“ oder dem politischen Intrigenspiel „The Ides of March“. Nun hat er sein Debüt als Regisseur und Drehbuchautor abgeliefert. Das Ergebnis ist überraschend, verstörend, kann sich aber allemal sehen lassen. „Lost River“ ist eine bizarre Mischung aus Sozialdrama und Mystery-Thriller.

Der Titel erinnert vielleicht nicht zufällig an den Streifen „Lost Highway“ von dem für seine gleichfalls surreal wirkenden Traumlandschaften bekannten David Lynch. Das düstere Märchen verbindet sich mit nicht vordergründig erklärbaren Geschehnissen, und hinter jeder Hausecke scheint eine Bedrohung zu lauern.

Das Geschehen spielt in der amerikanischen Gemeinde Lost River, die sich zu einer Geisterstadt entwickelt hat. Die alleinerziehende Mutter Billy (Christina Hendricks) ist noch nicht fortgezogen und bewohnt weiterhin mit ihren beiden Buben Franky und Bones ihr altes Haus. Durch angehäufte Schulden besteht allerdings akute Gefahr, daß sie ihr Heim bald verlieren wird. In dieser Situation vermittelt ihr der zwielichtige Bankmanager Dave (Ben Mendelsohn) einen Job in einem Nachtclub, der allabendlich eine skurrile Horrorshow aufführt.

Währenddessen streunt Bones (Iain De Caestecker) durch die Abbruchareale der Stadt und sammelt Altmetall, das er an einen Händler verkauft. Dabei gerät er in Konflikt mit dem skrupellosen Gang-Chef Bully (Matt Smith), der sich die verlassenen Reste der Stadt aneignet. In dieser Situation entdeckt Bones eine zugewachsene Straße, die direkt in einen See führt. An dessen Grund, so erzählt ihm das Nachbarmädchen Ratte (Saoirse Ronan), lägen alte Ortschaften, von denen seit Dammbau und Flutung ein Fluch ausgehe.

Gosling gelingt es, das bizarre Szenario mit eindrucksvoller Kameraästhetik einzufangen. Er verbindet Elemente von Fantasy Noir und Spannungskino. Kindheitserinnerungen und filmische Prägungen werden mit dem Hinweis auf das mögliche Scheitern des amerikanischen Traums verbunden. So ist Gosling durch den Verfall der einstigen Automobilstadt Detroit angeregt worden. 40 Meilen lang verlassene Wohngegenden hatte er dort gesehen. Einsam versuchen Familien zwischen Brandruinen, Abrißgebäuden und Brachen zu überleben. Und als sich Billy von einem Taxifahrer südländischer Herkunft zur Arbeit fahren läßt, berichtet dieser von den paradiesischen Vorstellungen, die er einst vom Leben in Amerika hatte. „Doch es ist anders“, wiederholt er mehrfach.