© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/15 / 29. Mai 2015

Knapp daneben
Warnung an die Welt
Karl Heinzen

Am 18. Mai 1967 gab die BBC bei den Beatles ein Lied in Auftrag, das fünf Wochen später in einer in 31 Ländern ausgestrahlten Live-Sendung vorgetragen werden sollte. Es entstand „All You Need Is Love“, eines der scheußlichsten Machwerke aus dem abgründigen Repertoire der am meisten überschätzten Band der Popgeschichte. Mit seiner naiven Botschaft und seiner simplen Melodie paßte es in die Zeit. Man hatte den „Summer of Love“ ausgerufen, und überall in der zivilisierten Welt befummelten sich vor den staunenden Augen ihrer Mitmenschen die Liebespärchen im unschuldigen Glauben, dies nicht nur zu ihrem Vergnügen, sondern auch aus Protest gegen den Vietnamkrieg zu tun.

18 Jahre später adaptierten Michael Jackson und Lionel Richie den Refrain der Beatles für einen eigenen Song. „Love is all we need“, hieß es nun in einer Textzeile, doch das Bekenntnis war explizit politisch zu verstehen. In Afrika herrschten Hunger und Elend, und darauf sollte das Lied „We Are The World“ eine überzeugende Antwort geben.

Die Repräsentanten der Nato werden genau gewußt haben, was sie taten, als sie dieses Lied anstimmten.

Fast alle, die im amerikanischen Musikbusiness Rang und Namen hatten, wirkten mit, doch so gut sich die Platte auch verkaufte, so wenig gelang es, mit ihr der Menschheitsgeschichte eine neue Richtung zu geben.

Heute erscheint das schwülstige Lied mit seinem besinnungslosen humanitären Pathos eher wie eine Drohung. Es gibt kaum einen Krieg, der nicht im Namen universeller Werte angezettelt würde. Wer so etwas wie „We are the World“ singt, macht sich an diesen Verbrechen mitschuldig.

Die Repräsentanten der Nato-Mitgliedsstaaten werden daher genau gewußt haben, was sie taten, als sie auf dem bunten Abend ihres jüngsten Gipfeltreffens in Antalya dieses Lied anstimmten. Schunkelnd und schwitzend standen sie da Arm in Arm und meldeten vor laufenden Kameras ihren Weltherrschaftsanspruch an. Die Nato mag heute zwar kaum mehr Divisionen als der Papst haben. Ihr missionarischer Eifer gepaart mit irrationalem Sendungsbewußtsein macht sie indessen unberechenbar. Die Welt ist gewarnt.