© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/15 / 05. Juni 2015

„Das ist erst der Anfang“
In seinem neuen Buch geht der Journalist Bruno Schirra auch der Frage nach, „wie der Islamische Staat den Terror nach Europa trägt“
Moritz Schwarz

Herr Schirra, „wie trägt der Islamische Staat den Terror nach Europa“ – wie der Untertitel Ihres Buches lautet?

Schirra: Er nutzt bestehende Strukturen. 

Zum Beispiel? 

Schirra: In Deutschland wie in Europa gibt es ein ständig wachsendes islamistisches Moscheen-Gefüge. Das wurde und wird bis heute im wesentlichen durch Gelder und religiöse Ideologen aus Saudi-Arabien und anderen Golfstaaten finanziert und organisiert. 

Werden Nachwuchs-Dschihadisten nicht vor allem durch das Internet rekrutiert?

Schirra: Das höre ich ständig. Unsinn! Nach wie vor sind es überwiegend wahhabitische Netzwerke in islamischen Gemeinden, die für die Radikalisierung verantwortlich sind. Ohne diese sehr realen Strukturen hätte beispielsweise die „Lies“-Kampagne des Kölner Predigers Ibrahim Abu Nagie niemals ihren durchschlagenden Erfolg haben können. Schaut man sich die bekannten dschihadistischen Karrieren an, stößt man immer wieder auf diesen frommen Prediger und seine gläubigen Jünger. Das sind mörderische Gläubige.

Woher kommen diese Strukturen?

Schirra: Die erste Generation islamischer Migranten haben wir als billige Arbeitskräfte gerufen. Sie kamen nicht, um hier dschihadistische Strukturen zu schaffen. Die zweite Generation hat durchaus erfolgreich versucht, sich weiterzuentwickeln, war jedoch mit strukturellem Alltagsrassismus, Ängsten und Ignoranz derer, die sie gerufen haben, konfrontiert. Kein Wunder, daß so eine oft nur brüchige Beziehung zur neuen Heimat entwickelt wurde. Die dritte Generation hat diese Erfahrungen verinnerlicht und sucht zunehmend irrlichternd nach Identität – und da machen mit Geld und Glaubensideologie aus Ländern wie Saudi-Arabien, Bahrain oder Kuwait in Europa über Jahrzehnte aufgebauten Strukturen in Moscheegemeinden sehr erfolgreich ihr Angebot.

Sie meinen, wir sind selbst schuld am Islamismus unter den Muslimen in Europa?  

Schirra: Nein. Wir haben mit dazu beigetragen, die Entwicklung durch Ignoranz, Naivität und einen mehr als nur merkwürdigen Kulturrelativismus zu befördern – verursacht haben wir den Islamismus nicht. Tut mir leid, aber wir sind ausnahmsweise mal nicht an allem schuld. 

Wer ist dann der Verursacher? 

Schirra: Ein Scharia-Islam, der in seiner derzeitigen Verfaßtheit leider in einem mörderischen theologischen Dogma einbetoniert ist. Aus dieser Verfaßtheit heraus läßt sich dschihadistischer Terror durchaus legitimieren, auch wenn die Grundlagen des Islam zumindest theoretisch das Gegenteilige hergeben. 

Hätten wir verhindern können, daß dieser Islam die Einwanderer bei uns erfaßt?

Schirra: Nein. Sie haben ihn ja in dieser Verfaßtheit mitgebracht. 

Demnach ist die Ursache des Dschihad-Problems in Europa die Einwanderung?

Schirra: Wenn man Einwanderer zu sich einlädt, muß man sich im vornherein darüber im klaren sein, daß diese Menschen ihre kulturelle und religiöse Prägung mitbringen. Was ihr gutes Recht ist.   

Haben jene, die in der Vergangenheit wegen dieser Warnung oft als Rechtsradikale beschimpft worden sind, also recht gehabt?

Schirra: Wer Reibungsprobleme der Einwanderung benennt, ist nicht zwingend notwendig ein Rechtsradikaler, oder im Neusprech: ein Rechtspopulist. Die notwendigen Fragen, die zu stellen sind, hören Sie interessanterweise, wenngleich noch zu leise, gerade aus der muslimischen Community. Beispielsweise: „Was um Gottes und des Teufels willen passiert da mit unseren Kindern, mit unserer dritten Generation?“

Sie schreiben in Ihrem Buch über muslimische Einwanderer, „sie leben längst unter uns – das ist gut so.“ Widerspricht diese vereinfachte Schlußfolgerung nicht Ihrer eben gemachten Analyse? 

Schirra: Europa steht keineswegs eine Islamisierung bevor. Die grüne Fahne des Propheten wird mitnichten über dem Reichstagsgebäude wehen. Es tickt in Europa auch keine demographische islamische Bombe. Der Terror ist unser Problem. Nicht eine Religion, so archaisch sie derzeit daherkommen mag. Ich bin froh darüber – um Sarrazin aufzugreifen –, daß Türken und Araber den Gemüsehandel bei uns monopolisiert haben. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, in welch beklagenswertem Zustand dieser vorher war. Oh, mein Gott! 

Ist das wirklich ein ernstzunehmendes Argument?  

Schirra: Einwanderung schafft nun mal zweierlei: gleichermaßen spannende Bereicherung wie mitunter mörderische Probleme. Das ist auszuhalten. Nur: Die Mehrheitsgesellschaft hat ihre Grenzen dort zu setzen, wo mitgebrachte religiöse und kulturelle Traditionen eigene westliche Freiheiten angreifen. Die türkische AOK-Angestellte, der arabische Urologe, der gläubige muslimische LKW-Fahrer, Ingenieur: die greifen üblicherweise keine westliche Freiheit an: Herzlich willkommen also! 

Solange man selbst nicht betroffen ist, sondern andere, kann man die Vorzüge der Einwanderung genießen. Aber würden Sie das auch noch sagen, fiele ein Familienmitglied einem Terroranschlag zum Opfer?

Schirra: Da treffen Sie natürlich, wenngleich billig, einen Punkt. Ich fordere ja, die Gefahr zwar ernst zu nehmen, aber dennoch gelassen zu bleiben. Was sicherlich auch eine kostenlose Forderung ist, solange man nicht selbst betroffen ist.

Es geht darum, ob Ihre Argumentation konsistent ist.  

Schirra: Schon klar. Die uralte Frage an den – den Wehrdienst verweigernden – Pazifisten: „Was täten Sie, würde man vor ihren Augen ihre Freundin vergewaltigen?“ Ich bin kein Pazifist um jeden Preis. Gegen Terror muß man sich wehren, ihn bekämpfen. Eine ganze Einwanderer-Community unter Generalverdacht zu stellen ist dabei nicht hilfreich. 

Es geht hier nicht um eine Attacke gegen integrierte Einwanderer, sondern um die politische Frage, wie man diese Art Einwanderung gesellschaftlich bewerten soll. Erweist sich der Preis als zu hoch?   

Schirra: Nein, ohne Einwanderer hätte das deutsche Wirtschaftswunder so nicht stattgefunden. Sie wurden als Arbeitsdrohnen eingeladen – es kamen aber Menschen. Die brachten nun mal einen uns fremden und nicht einen von uns so gerne romantisierten Islam mit. 

Und das ist Tod und Terror heute wert? 

Schirra: Man muß Realist sein. Wir brauchten, wir wollten damals Arbeitskräfte, und es ist wohlfeil, das jetzt, fünfzig Jahre später, zu kritisieren. Der Preis wird derzeit und auf lange Jahre noch bezahlt. Das ist so und also auszuhalten. 

Sie schreiben: „Isis wird Europa verändern.“ Inwiefern?

Schirra: Ich habe mit unzähligen Sicherheitsexperten gesprochen. Die islamisch-dschihadistischen Gegebenheiten in Europa existieren, sie wuchern vor sich hin. Aus diesen heraus werden Taten resultieren. Alle Sicherheitsbehörden haben eine geradezu panische Angst davor, was passiert, wenn es in Deutschland plötzlich zwei, drei dschihadistische Anschläge hintereinander gibt.

Nämlich? 

Schirra: Interessanterweise warnen ausgerechnet Verfassungsschützer: Dann wird sich das Land in einer Weise verändern, die wir nicht wollen können! 

Konkret? 

Schirra: Im Namen einer Sicherheit, die es nie geben kann, würde Freiheit massiv abgebaut werden. Es würde in Deutschland zu rechtsextremen Reaktionen, zu wildwucherndem Fremdenhaß in der Bevölkerung kommen! Ich kenne noch den Zustand der Unschuld, in dem sich dieses Land vor dem Deutschen Herbst 1977 befunden hat, weiß, wie eng es geworden ist, nachdem ein paar Dutzend saturierter Bürgertöchter und -söhne ihren mörderischen linken Terror praktiziert hatten. Wie würde sich dieses Land verändern, wenn islamischer Terror zum Alltag dieses Landes gehören würde? Es gibt Fragen, auf die ich nun wirklich keine Antwort erleben will.    

Was genau droht uns?

Schirra: Charlie Hebdo wird sich wiederholen. Auch wenn wir es noch nicht richtig wahrnehmen wollen: Der Dschihad und sein Terror sind längst in Europa angekommen. Er hat sich eingenistet, wuchert weiter vor sich hin. Ein Geheimdienstbeamter hat das mir gegenüber so beschrieben: „Wir haben bisher einfach Glück gehabt – sieht man von Madrid ab, von Frankfurt, von Toulouse, von Brüssel und London. Alles Orte, an denen der Dschihad schon zugeschlagen hat. Aber das war erst der Anfang!“     

Sie schreiben, die ganze arabische Welt habe inzwischen eine „Kultur des Todes“ erfaßt. 

Schirra: Ich habe die Gesellschaften dort einmal als heiter und voller Lebenslust kennengelernt, habe aber im Verlauf der letzten Dekaden erlebt, wie diese Lebenslust zerbröselt und verroht ist: Die Barbaren des Dschihad beherrschen inzwischen das Leben der Menschen in Kairo, Beirut oder Damaskus. „Dschihad! Dschihad! Dschihad!“ tönt es heute unablässig durch die arabische Welt.

Wie ist es dazu gekommen?

Schirra: Der Islam hat sich selbst in das Gefängnis eines mörderischen theologischen Dogmas getrieben. In dem er seit Jahrhunderten verharrt. Das verhindert, die Freiheit des Individuums emanzipatorisch zu denken. Es ist wohlfeil, Kolonialismus und Imperialismus für diesen Zustand verantwortlich zu machen. 

Eben das ist aber eine gängige Diagnose. 

Schirra: Der liegt eine merkwürdige westliche Neigung zur Selbstgeißelung zugrunde. An der Krise der islamischen Welt ist zunächst einmal die islamische Welt selbst schuld. Kolonialismus und Imperialismus haben erst später als negative Katalysatoren gewirkt, sie haben die Probleme der islamischen Welt nicht geschaffen. Sie konnten nur deshalb wirken, weil die islamische Welt bereits durch hausgemachte Krisen geschwächt war.

In Ihrem Buch sprechen Sie sogar George Bush Junior frei.

Schirra: Man mag ja von George W. Bush halten, was man will. Aber auch er ist nicht für die Misere der arabischen Welt verantwortlich. Die bestand schon lange vor dessen Irak-Krieg.

Peter Scholl-Latour würde einwerfen, daß der Westen dennoch maßgeblich eine Mitschuld hat, weil er die zwar blutigen, aber relativ stabilen Diktaturen etwa im Irak oder Libyen zu beseitigen geholfen hat.

Schirra: Da hat er recht. Gaddafi, Mubarak oder Saddam Hussein waren allerdings mörderische Garanten dieser Stabilität. Selbstkritisch muß ich sagen, daß ich 2003 für den Irak-Krieg war, wenngleich mich die offiziellen Begründungen nicht überzeugten. Ich fand es richtig, gegen einen so massenmörderischen Tyrannen wie Saddam Hussein vorzugehen. Allerdings habe ich mir nicht einmal ansatzweise vorstellen können, daß die USA nach ihrem Sieg auf eine derartig naive, arrogante wie zugleich dilettantische Art und Weise einen Fehler nach dem anderen machen würden. Das hat zur heutigen Situation mit beigetragen. 

Wie Scholl-Latour haben Sie allerdings von Beginn an vor den Folgen des bei uns bejubelten Arabischen Frühlings gewarnt. 

Schirra: Was war das für eine revolutionstrunkene Begeisterung westlicher Journalisten, Experten und Politiker für die Arabellion! Tatsächlich aber hat der Arabische Frühling die Pforten für das mit geöffnet, was einer meiner Kollegen treffend den „Beginn des Dreißigjährigen Krieges“ der arabischen Welt genannt hat. 




Bruno Schirra, ist auf den Nahen und Mittleren Osten spezialisiert. Er war Redakteur der Zeit, schrieb danach für den Spiegel, Cicero und die Welt, heute für die Schweizer Weltwoche. In den Neunzigern machte er sich durch seine Recherchen in der Leuna-Affäre einen Namen. 2005 geriet er in die Schlagzeilen, als die Polizei die Redaktion des Cicero und das Haus Schirras durchsuchte. In einem Artikel über Islamisten hatte dieser aus vertraulichen Akten des BKA zitiert. Etliche Medien kritisierten die Durchsuchung als Angriff auf die Pressefreiheit und zogen Parallelen zur Spiegel-Affäre von 1962. Der Fall gipfelte in einer Sondersitzung des Bundestagsinnenausschusses. Schirras neues, „kenntnisreiches“ (ARD) und „äußerst spannendes“ (Süddeutsche Zeitung) Buch, „ISIS. Der globale Dschihad. Wie der Islamische Staat den Terror nach Europa trägt“, lobt der Deutschlandfunk als „‘Krimi‘, der aber die Wirklichkeit beschreibt“. Geboren wurde Bruno Schirra 1958 in Illingen im Saarland.

Foto: Gewalttätige Salafisten-Demonstration in Bonn (2012): „Einwanderung schafft nun mal zweierlei: gleichermaßen spannende Bereicherung wie mitunter auch mörderische Probleme“


 

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