© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/15 / 12. Juni 2015

Erstmal mundtot machen
Wer die „Ehe für alle“ ablehnt, sieht sich mit dem Vorwurf der Volksverhetzung konfrontiert
Thorsten Hinz

Wortmeldungen der saarländischen Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) sind selten inspirierend und rufen in der Öffentlichkeit weder Zu- noch Widerspruch hervor. Diesmal ist das anders. In einem Zeitungsinterview hat sie sich deutlich gegen die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare und damit auch gegen Parteifreunde ausgesprochen. Nach ihrer Feststellung besteht in dieser Frage ein Dissens zwischen den Gremien und der Basis ihrer Partei. Auch die Volladoption von Kindern durch homosexuelle Partner lehnt sie ab.

Nicht die gefühlte Diskriminierung von Schwulen und Lesben, sondern das Kindeswohl sei entscheidend. So werde darüber geklagt, daß es in der Erziehung „zu wenige männliche Vorbilder gibt. Mir will nicht ganz einleuchten, daß das im engsten Umfeld, in dem Kinder geprägt werden, gar keine Rolle spielen soll." Auch gehe es bei der Ausweitung der Ehe um mehr als um Symbolik, nämlich um die „grundlegende Definition unserer Gesellschaft", die klar die „Ehe als Gemeinschaft von Mann und Frau" festlege. „Wenn wir diese Definition öffnen in eine auf Dauer angelegte Verantwortungspartnerschaft zweier erwachsener Menschen, sind andere Forderungen nicht auszuschließen: etwa eine Heirat unter engen Verwandten oder von mehr als zwei Menschen. Wollen wir das wirklich?"

Es sei dahingestellt, ob die Ministerpräsidentin tatsächlich einen programmatischen Pflock einschlagen wollte oder lediglich an einem parteiinternen Rollenspiel teilnimmt, das konservative Unionsmitglieder besänftigen soll. Aus ihren Äußerungen spricht unbestritten der gesunde Menschenverstand. Kinder entstehen nun mal aus der Verbindung von Mann und Frau, und die Ehe bildet – je nachdem, ob man das religiös oder anthropologisch betrachtet – das sakrale oder zivilreligiöse Siegel darauf. Folglich sollten Kinder möglichst innerhalb der Vater-Mutter-Kind-Konstellation aufwachsen.

Den Ehe-Begriff uferlos auszudehnen und daraus gleiche Rechte für die unterschiedlichen Akteure abzuleiten heißt, die Keimzelle der Gesellschaft anzugreifen. Es sei denn, man träumt von einem neoliberalen Gesellschaftsmodell, in dem die Reproduktionsmedizin und die Generierung von Menschen ohne Herkunft und genealogisches Bewußtsein, die ein geschlossenes System aus Produktion und Verbrauch bilden, eine denkbare Alternative darstellen.

Im Diskriminierungsdiskurs finden Narzißmus, Selbstverwirklichungswahn und Infantilismus zusammen – typische Eigenschaften der Spaß- und Konsumgesellschaft. Zum Erwachsensein gehört die Einsicht, daß nicht alles gleich ist und nicht jeder unter allen Umständen alles haben kann. Im übrigen hat Frau Kramp-Karrenbauer gar nicht in Abrede gestellt, daß nichteheliche Partnerschaften bessergestellt werden sollten. So ist nicht mehr einzusehen, daß homosexuellen Paaren, die nach Maßgabe des Sozialamts finanziell füreinander einstehen müssen, die steuerliche Vergünstigung eines kinderlosen Ehepaares verwehrt wird. Doch das sind Sachfragen, die durch ideologische Debatten mehr blockiert als gefördert werden. Das Interview Kramp-Karrenbauers bietet jedenfalls Anknüpfungspunkte für eine streitbare und qualifizierte Diskussion.

Die ist aber überhaupt nicht gewollt. Statt dessen ist in den anderen Parteien und den meisten Medien das übliche Gezeter losgebrochen: Kramp-Karrenbauer habe Homosexualität mit Inzucht gleichgesetzt, sie habe eine Minderheit „herabgewürdigt", mit ihrer „Unverschämtheit" einen „neuen Tiefpunkt" erreicht – um nur einige Stichworte zu nennen. Ihrerseits erklomm die Kampagne einen Höhepunkt mit der Anzeige einer Berliner Anwältin wegen „Volksverhetzung". Die Begründung: „Diese Äußerung ist nicht mehr nur homophob, sondern menschenverachtend und in ihrem Gehalt gleichzusetzen mit den ähnlich verachtenden Äußerungen 1933–1945."

Erst einmal ist festzustellen, daß es sich bei der Homo-Ehe um keine Frage von politischer und gesellschaftlicher Relevanz handelt. Es ist ein Placebo-Thema, das außer den einschlägigen Lobbys und Meinungskohorten kaum jemanden interessiert. Der Anwältin aber muß man beinahe dankbar sein, denn mit der Anzeige demonstriert sie, daß die Kampagne viel mehr ist als der zufällige Ausbruch subjektiver Intoleranz. Sie hat systematischen Charakter und gehört zu einer Praxis, die die Meinungsfreiheit sukzessive erdrosselt – siehe den Umgang mit dem konservativen Bremer Pfarrer Olaf Latzel (JF 10/15).

Den Ausgangspunkt und die juristische Handhabe bildet der Volksverhetzungsparagraph 130 des Strafgesetzbuchs. Unter dem Getöse aus Politik und linksliberalen Medien ist sein Geltungsbereich ständig ausgeweitet worden. Inzwischen gerieren sich Minderheiten gewohnheitsmäßig als Trittbrettfahrer der Holocaust-Opfer, um Privilegien für sich einzufordern, während die Meinungsfreiheit nur noch für diejenigen uneingeschränkt gilt, die ihren Anliegen zustimmen. Dieser Gut-Böse-Manichäismus bietet ein reiches Betätigungsfeld für Neojakobiner und -stalinisten.

Natürlich ist es absurd, die Äußerungen Kramp-Karrenbauers in die Nähe des Nationalsozialismus zu rücken, doch die Absurdität hat Methode. Erreicht wird ein Klima der Einschüchterung. Die Gesinnungsjäger handeln völlig risikolos in einem gesellschaftspolitischen Raum der Unschärfe, wo der vermeintlich gute beziehungsweise korrekte Zweck auch noch die abstruseste Handlung rechtfertigt. Eine Ministerpräsidentin kann das wegstecken. Für einen Normalbürger aber wäre allein das Gerücht, gegen ihn werde wegen Volksverhetzung ermittelt, existenzvernichtend. So dringt das Strafrecht – genauer: das Gesinnungsstrafrecht – in die Mitte der Gesellschaft vor und zerstört die verbliebenen Freiheiten von innen.