© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/15 / 12. Juni 2015

Pankraz,
Kazim Akboga und die Gleichmacher

er Siegeszug der Gleichheit, der Égalité, des Alles-gleich-Machens, scheint unaufhaltsam. Neulich hat in Bonn-Bad Godesberg, mitten im ehemals feinen Diplomatenviertel, wo man soviel auf Distinktion hielt, eine Firma namens „Egal" ihre Zentrale eröffnet. Es steckt, wie zu vernehmen ist, eine Menge chinesisches Investorengeld dahinter, aber was die Firma eigentlich will, wird nicht gesagt. Es ist ihr offenbar völlig egal. „Wir sorgen für die Beschaffung wichtiger Keykomponenten", heißt es in den Prospekten, „wir dienen als Ansprechpartner für neueste Technologien."

Zur selben Zeit zappelt auf Youtube der türkische Rapper Kazim Akboga (32) mit dem Song „Is mir egal" herum. „Keine Arbeit – is mir egal. Kein Geld – is mir egal. Roboter mit Senf – is mir egal, Zebra mit Blume – is mir egal …" So gurgelt er in ewiger Wiederholung und wurde im letzten Quartal dafür schon über fünf Millionen Mal angeklickt. An die 40.000 private Abonnenten versorgt er inzwischen regelmäßig mit seinen Homemade-Videos, die Einladungen zu öffentlichen Auftritten stapeln sich.

„Das ist doch alles nur Gleichmacherei", versuchte ein unverdrossen idealistischer Freund Pankraz zu beruhigen, „mit echter Gleichheit, wie sie in der Parole von 1789 ‘Liberté, Égalité, Fraternité’ ertönte, hat das doch nichts zu tun." Wirklich nicht? Bei genauem Hinsehen eröffnet sich einem just das Gegenteil. Die angeblich so wünschenswerte „Gleichheit" kann nie und nimmer als Idealwort für halbwegs gerechte und aushaltbare Gesellschaften funktionieren. Sie ist ein Übelwort und schafft, wenn man es ernst nimmt, eben nur erstickende Gleichmacherei.

lle guten Herrschaftssysteme wußten das oder mußten es früh lernen, sobald sie an die Macht gekommen waren. „Gleichheit" taugt, wenn überhaupt für irgend etwas, allenfalls als momentaner Schlachtruf beim Kampf um die Abschaffung beziehungsweise Einführung gewisser Teil-Ungleichheiten innerhalb organisch gewachsener Menschengemeinschaften. Als Bezeichnung utopischer Sehnsuchtshorizonte hingegen ist die Égalité eine furchtbare Katastrophe, „reine Sklaverei", wie einst höchst zutreffend Gustave Flaubert an seine Louise Colet schrieb, „die Verneinung aller Freiheit, alles Höheren".

In der Politik, wo sich Parteien ausdrücklich im Zeichen „gleicher" Interessen und „gleicher" Rhetorik zusammenfinden, mag es sein, daß diese Art von Gleichheit – wenigstens in bestimmten Situationen – als Stärkung der Gemeinschaft empfunden und begrüßt wird, doch es ist dies ein äußerst fragiler Zustand, der bereits beim Auftauchen des ersten (nur vermeintlichen oder wahren) Dissidenten zu Entzweiung und bitterem Zank führt. Politische Parteien und sonstige Verbände sind à la longue nur als Einheit in der Vielfalt erfolgreich, beziehen einzig von daher ihre Attraktion.

Was die Natur der Sache betrifft, die innere Menschennatur wie die Natur im ganzen, so gilt für sie unwiderlegbar, was schon Anfang des 18. Jahrhunderts der junge Vauvenargues knapp und bündig so formulierte: „Gleichheit ist kein Naturgesetz. Die Natur hat nichts gleich gemacht." Tatsächlich ist die ganze Schöpfung von oben bis unten und in jedem Entwicklungsschub, auch dem allerkleinsten, auf Differenzierung angelegt. Die Differenz ist gewissermaßen ihr Urprinzip.

Kein Mensch gleicht dem anderen, jeder besitzt seine je eigene Identität, und es ist diese Identität, die ihm Würde verleiht und ihn gegebenenfalls für seine Mitmenschen vorbildhaft oder in sonst einem Belang wertvoll macht. Der emphatische, zur Zeit immer lauter und geradezu hysterisch artikulierte Satz „Alle Menschen sind gleich!" ist im Grunde nichts weiter als ein banaler Lebkuchenvers, geeignet höchstens noch für evangelische Kirchentage oder Love Parades oder den homosexuellen Christopher Street Day.

leichheit", meinte dagegen kein Geringerer als Thomas Mann (in seinen „Betrachtungen eines Unpolitischen"), „ist weder eine Tatsache noch eine Wünschbarkeit. Aber sie sei eine menschliche Gebärde, sie sei jene Höflichkeit des Herzens, welche der Liebe nicht nur verwandt ist". Damit, findet Pankraz, sollte man sich zufriedengeben. Die öffentliche Gleichheitsrede als ein Abzweig aufrichtig bezeugter Liebe, die Rede von der Égalité als ein Bekenntnis dazu, daß alle Menschen vor dem verbrieften Recht gleich behandelt werden müssen und keiner an der legalen Entfaltung seiner Identität gehindert werden darf.

Leider kann von einem solchen Maßhalten in den derzeitigen öffentlichen Diskussionen nicht im mindesten die Rede sein. Vielmehr herrscht sowohl oben wie unten ein schier wahnwitziger Wille zur flächendeckenden Gleichmacherei, zur Einebnung alles Herausragenden und Exzellenten. Das geht mit dem Schulunterricht los, wo es faktisch keine Exzellenzkriterien mehr gibt (geben darf), und mündet in der Einebnungswut staatlicher Legislative und Exekutive, die sich ganz offen nur noch an algorithmisch erzeugten „Durchschnittswerten" orientieren und daran ihre Gesetze ausrichten.

Als Reaktion darauf breitet sich eine allgemeine Wurstigkeit und Tat-Unwilligkeit aus, die langfristig durchaus das Wurzelwerk einer Gesellschaft vergiften und lahmlegen kann. Es lohnt sich dann einfach nicht mehr, noch etwas Eigenes auf die Beine zu stellen, selbst wenn man dafür viel Geld erhält, da es sowieso gleich wieder eingeebnet, gleichgemacht, egalisiert wird. Nur Rapper vom Schlag eines Kazim Akboga können sich (wie lange noch?) darüber freuen – oder schlaue Chinesen, die ihre seltenen Erden an den Mann bringen wollen und zu diesem Zweck ganze Firmengruppen mit dem Namen „Egal" versehen.

Gibt es noch irgendwo ein Plätzchen im Geistesleben, wo man sich über die Misere hinwegtrösten könnte? Nun, immerhin, Friedrich Schiller dichtete einst auf seinen „Votivtafeln": „Keiner sei gleich dem andern, doch jeder sei gleich dem Höchsten! / Wie das zu machen? Es sei jeder vollendet in sich."