© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/15 / 19. Juni 2015

Clemens Fuest folgt im Frühjahr 2016 Hans-Werner Sinn als Chef des Ifo-Instituts nach
Auf Kurs
Michael Paulwitz

Für die Ökonomenzunft kommt diese Personalie gleich nach der Papstwahl: Clemens Fuest beerbt Hans-Werner Sinn als Chef des Münchner Ifo-Instituts. Wenn der Mann mit dem markanten Bartkranz im Frühjahr altersbedingt emeritiert wird, übernimmt der 46jährige Präsident des Mannheimer Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung dessen Lehrstuhl. Und damit den Vorsitz des Instituts, das Sinn zur ersten Adresse und zum lästigen Stachel im Sitzfleisch ignoranter Euro-„Retter“ und volkswirtschaftlicher Analphabeten auf Regierungsbänken gemacht hat. 

Mit den gefürchteten Peitschenhieben aus München dürfte dann allerdings Schluß sein. Denn Clemens Fuest, während seiner steilen internationalen Karriere gern der Spitzengruppe der forschungs- und publikationsstärksten deutschen Ökonomen zugerechnet, beißt die Hand schon nicht, von der er sich gefüttert und gefördert fühlt. Er ist „Wirtschaftsweise“ des Bundesfinanzministeriums, Beirat des CDU-Wirtschaftsrats, der regierungsnahen Zeitschrift Wirtschaftsdienst und „Fellow“ des arbeitgeberfinanzierten Instituts der deutschen Wirtschaft. 

Der aus der Steuerfinanzierung von Forschungsinstituten abgeleiteten „besonderen Verantwortung“, die Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble bei Hans-Werner Sinn vergeblich angemahnt hat, ist Clemens Fuest 

bisher mustergültig gerecht geworden. Dabei kommt er wissenschaftlich durchaus aus demselben Stall wie Sinn, der seinen westfälischen Landsmann früh förderte und mit dem ihn bis heute gegenseitige akademische Wertschätzung verbindet. Beide sind vom Ordoliberalismus geprägt, werden der neoklassischen Schule zugerechnet und gelten linksgrünen Sozialisten und Gewerkschaftern als neoliberale Haßfiguren.

Schon 1993 sah Fuest, daß die „No Bailout“-Klausel des Maastricht-Vertrags im Ernstfall nicht viel wert sein werde; noch 2010 argumentierte er gemeinsam mit Sinn gegen eine Verlängerung von „Rettungspaketen“ für Pleitestaaten. Inzwischen stehen sie auf verschiedenen Seiten: Bei der Verhandlung über den ESM-Rettungsschirm in Karlsruhe trat Sinn als Sachverständiger der Kläger auf, Fuest für die Bundesregierung. 

Wo Hans-Werner Sinn seine Kritik gnadenlos zu Ende denkt und die Politik mit „Grexit“-Plädoyers und erbarmungslosen Berechnungen der Euro-Haftungsrisiken oder der Immigrationskosten nervt, biegt Fuest rechtzeitig zu Schlußfolgerungen ab, mit denen auch Merkel und Schäuble leben können: Die Euro-Retterei sei zwar fragwürdig, müsse aber doch irgendwie funktionieren, die Südländer müßten auch „drinbleiben“, und die AfD liege sowieso völlig falsch, trommelte Fuest vor der Bundestagswahl gegen die lästige neue Konkurrenz. Solche Dienste werden in Berlin nicht vergessen. Ein Betriebsunfall wie die Berufung Sinns sollte nicht ein zweites Mal passieren.