© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/15 / 19. Juni 2015

Nichts gesehen, nichts gehört
Linksextremismus: In Sachsen kommt es zunehmend zu gewalttätigen Ausschreitungen, doch die Politik reagiert gleichgültig
Paul Leonhard

Sachsens Innenminister Markus Ulbig und sein Leipziger Polizeipräsident, der frühere Volkspolizei-Offizier Bernd Merbitz, haben ein klares Weltbild. Das lautet auf einen Satz gebracht: Der Feind steht rechts. Vollauf beschäftigt mit Initiativen gegen Rechtsextremismus haben sie jahrelang ignoriert, daß sich in Leipzig „militante Gewalttäter etabliert haben, die den Staat nicht nur ablehnen, sondern ihn mit gut organisierten, effizienten Aktionen in schneller Abfolge angreifen“. Diese Analyse stammt vom Dresdner Landtagsabgeordneten Albrecht Pallas. Politische Gewalttaten seien in Deutschland keine Seltenheit, aber „die Qualität, die Häufigkeit dieser Taten in Leipzig sind etwas völlig Neues und sollten uns alle hellhörig werden lassen“, konstatiert der frühere Polizist und innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion.

 Das Erwachen des bisher auf dem linken Auge blinden CDU-Innenministers hängt weniger mit dem jüngsten Gewaltexzeß der hundert vermummten Autonomen gegenüber der Polizei am Abend des 5. Juni zusammen als mit deren Angriffszielen: neben dem Bundesverwaltungsgericht das amerikanische Konsulat. Konsul Scott Riedmann war daher eigens nach Dresden gereist, um sich im Landtag anzuhören, wie die sächsische Politik gedenkt, der Situation in Leipzig wieder Herr zu werden. Der Druck der USA zwingt die Regierung zum Handeln. Und wie schon einmal vor 15 Jahren soll es eine Sonderkommission richten, diesmal mit dem Namen „Johannapark“.

 Gleichzeitig wurde der Verfassungsschutz vom Minister gemahnt, sich konsequenter mit der Aufklärung der linksmilitanten Leipziger Szene zu befassen, auch wenn „Schwerpunkt im Freistaat der Rechtsextremismus“ bleibt. „Wenn man einen neuen Schwerpunkt wachsen sieht, muß sich auch der Schwerpunkt der Arbeit verschieben“, sagte der Christdemokrat. Dabei hätte ein Blick in Verfassungsschutzberichte und Polizeistatistiken gereicht, um die Gefahr zu erkennen. Doch die Leipziger Stadtführung und die Staatsregierung ermutigten die gewaltbereits linke Szene geradezu, sich beispielsweise gegen Legida/Pegida dem staatlich organisierten „Aufstand der Anständigen“ anzuschließen, und nahmen damit in Kauf, daß, wie die Gewerkschaft der Polizei im Januar besorgt feststellte, „die Kultur der politischen Auseinandersetzung jedes Mal ein Stück gewaltakzeptierender“ werde.

Linke Straftaten um           40 Prozent gestiegen

 Die Zahl der Straftaten, darunter Sachbeschädigung und Verstöße gegen das Versammlungsrecht, aus dem linksextremen Spektrum in Sachsen ist im vergangenen Jahr gegenüber 2013 auf 821 und damit um mehr als 40 Prozent gestiegen. Die Zahl der Gewaltdelikte liegt nach Polizeiangaben mit 154 „insgesamt auf hohem Niveau“. Schwerpunkt ist dabei das SPD-regierte Leipzig, welches neben Hamburg und Berlin als Hochburg der Antifa gilt. „Die Gewalt in Leipzig ist mehrheitlich von links gegen rechts ausgerichtet“, hat der sächsische Verfassungsschützer Volker Scholz im Mai 2014 gesagt. Die Autonomen würden meist gezielt und gut vorbereitet agieren, von der Richtigkeit ihrer Attacken überzeugt sein und in Kauf nehmen, daß auch unbeteiligte Dritte bei ihren Anschlägen zu Schaden kommen. Da sich viele der Angriffe auf NPD-Stadtratskandidaten und mutmaßliche Neonazis richteten, ignorierte das Innenministerium die Vorfälle. 

Selbst als der Verfassungsschutz darauf hinwies, daß es sich um den gezielten Versuch handele, eine demokratische Wahl zu beeinflussen. Daß in Leipzig immer wieder Polizisten mit Pflastersteinen und Polizeireviere mit Molotowcocktails und Farbbeuteln beworfen werden, wie beispielsweise im Oktober 2012 nach einer Drogenrazzia im linksalternativen Szeneviertel Connewitz, interessierte die CDU-geführte Staatsregierung in Dresden ebensowenig wie die Einschätzung des Verfassungsschutzes, daß die Aktionen der Leipziger Antifa 2014 „in steigendem Maße von Gewalt geprägt“ seien und die Gefahr bestehe, daß „sich gewaltaffine Personen aus diesem Grund der Szene anschließen“.

 Das änderte sich auch nicht, als im Januar 50 Maskierte den Connewitzer Polizeiposten überfielen, 60 Autonome vor der Staatsanwaltschaft randalierten und eine Woche später 600 teils vermummte Autonome unter dem Motto „Gehen wir die Cops an! Machen wir die City platt!“ durch die Stadt zogen, Scheiben zerschlugen, Streifenwagen demolierten, Steine auf Polizisten warfen und Hauswände besprühten. Klartext kam lediglich von SPD-Mann Pallas: „Es ist absolut inakzeptabel, daß unter dem Vorwand der Solidarität mit dem in Dresden getöteten Asylbewerber Gewalt ausgeübt wird – egal ob gegen Menschen oder Gegenstände.“ Von den in den ersten vier Monaten des Jahres in Sachsen registrierten 95 der linksextremistischen Szene zugeordneten Straftaten gehen 81 auf das Konto der Leipziger Szene. Die jüngste Aktion Anfang Juni war der sechste Angriff von Linksextremisten auf öffentliche Einrichtungen in Leipzig in diesem Jahr.

 Der Verfassungsschutz weiß angeblich nicht, wer die Rädelsführer im aus Studenten, Lehrlingen und Schülern bestehenden linksmilitanten Leipziger Milieu sind. Verfassungsschutzsprecher Martin Döring spricht von „charismatischen Anführern“, die auch Mitläufer immer stärker an die Szene bänden. Die Autonomen würden über ein großes Potential an gebildeten Führungspersönlichkeiten, geistigen Brandstiftern verfügen, sagte Polizeipräsident Merbitz der Sächsischen Zeitung: „Als Kriminalist glaube ich nicht an Zufall, wenn gleich mehrfach Spontanversammlungen, die Gewalttätigkeiten nach sich zogen, in direkter Nähe einer geisteswissenschaftlichen Studieneinrichtung ihren Auftakt nahmen.“ Licht ins Dunkel soll neben den Verfassungsschützern das Operative Abwehrzentrum (OAZ) der Polizei bringen, das in Sachsen für extremistische Straftaten zuständig ist und dessen Aufklärungsquote bei Straftaten nach Aussage von Ulbig bei über 70 Prozent liegt. Der OAZ-Stab hat seinen Sitz in Leipzig.

Foto: Ausschreitungen in Leipzig Anfang Juni: 120 Personen randalierten in der Leipziger Innenstadt