© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/15 / 19. Juni 2015

Tage des Zorns
Vorratsdatenspeicherung: Auf dem Parteikonvent am Wochenende droht SPD-Chef Sigmar Gabriel Gegenwind von der Basis
Paul Rosen

Angesichts zunehmender Kriminalität und einer Welle von Wohnungseinbrüchen ist hierzulande mit Hymnen auf  den Datenschutz kein Staat mehr zu machen. Diese Einsicht muß auch den SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel nach Bürgerterminen mit Klagen über die grassierende Kriminalität erreicht haben. Flugs ordnete er eine Kehrtwende um 180 Grad und die Zustimmung der SPD zur Vorratsdatenspeicherung an. Mit den erweiterten Möglichkeiten der Datenspeicherung sollen Kriminelle besser und schneller gefaßt werden können. Doch gegen Gabriel erhebt sich Protest: Viele Bundestagsabgeordnete und Delegierte aus den SPD-Landesverbänden wollen die Vorratsdatenspeicherung wieder zu Fall bringen. Statt zum Angriff auf die politischen Gegner zu blasen, muß sich der SPD-Vorsitzende auf einem Parteikonvent an diesem Wochenende seiner Haut erwehren.

In der Partei geht es hoch her. Unterbezirks- und Landesverbände versuchen Bündnisse zu schmieden, um die Vorratsdatenspeicherung zu Fall zu bringen. Dahinter steckt auch die Spekulation, einen Keil in die ungeliebte Große Koalition treiben zu können. Die Union braucht unbedingt einen Erfolg, um ihren Wählern Tatkraft im Kampf gegen die Kriminalität zu demonstrieren. Daß der Gesetzentwurf nur zur Aufklärung schwerer Straftaten dienen soll, wozu  Einbruch und Diebstahl nicht gehören, wird von der Union vermutlich nicht zu hören sein. Denn die dünne Bilanz von CDU und CSU in der Bundesregierung bedarf wenigstens einer kosmetischen Korrektur: Außenpolitisch sind weder die Ukraine befriedet noch der Euro gerettet. Innenpolitisch gehen Rente mit 63, Frauenquote und Mindestlohn mit der SPD nach Hause, während die Kehrseite der von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) erreichten „schwarzen Null“ im Bundeshaushalt immer deutlicher in Form von verrottender Infrastruktur sichtbar wird. 

Natürlich hätte Gabriel es sich in der Causa Vorratsdatenspeicherung einfach machen und die Reißleine ziehen können. Die CDU/CSU hätte getobt, aber was wäre gewesen, wenn Angela Merkel, Volker Kauder und Horst Seehofer plötzlich Neuwahlen hätten erzwingen wollen? Klar hätte Gabriel schnell ein rot-rot-grünes Bündnis zu installieren versuchen können. 

Unterstützung aus  Nordrhein-Westfalen

Allerdings ist die Lage der Linkspartei und ihrer Bundestagsfraktion labil, wie die Rückzugsankündigung des Fraktionsvorsitzenden Gregor Gysi zeigt. Gabriel würde gerne vor 2017 ins Kanzleramt einziehen; aber wenn die Risiken zu hoch erscheinen, schmeißt der erfahrene Zocker hin und wartet auf ein neues gutes Blatt. Das Glück war ihm in jüngster Zeit nicht gerade hold: Den Angriff auf Merkel wegen der amerikanischen Spähaktionen unter Zuhilfenahme des Bundesnachrichtendienstes ließ der SPD-Chef versanden. 

Bei der Vorratsdatenspeicherung führte Gabriel sogar den sozialdemokratischen Justizminister Heiko Maas vor. Der jovial-kumpelhaft auftretende Gabriel mag den ideologieschwangeren Saarländer Maas mit seinen Oberlehrermanieren nicht. Maas hatte noch im Dezember vergangenen Jahres die reine linke Lehre vertreten und erklärt, er lehne die anlaßlose Vorratsdatenspeicherung „ganz entschieden“ ab. Sie verstoße „gegen das Recht auf Privatheit und gegen den Datenschutz“. Gabriel interessierte dies alles nicht. Maas bekam von der SPD-Parteizentrale den Befehl, umzuschwenken und zusammen mit Innenminister Thomas de Maizière (CDU) einen Gesetzentwurf zur Vorratsdatenspeicherung auszuarbeiten. 

Maas erwies sich als einer der traditionellen Sozialdemokraten, von denen es hieß, für sie gebe es drei Weltmächte: die Vereinigten Staaten, Rußland und den SPD-Parteivorstand. Der Saarländer gehorchte der Weisung aus dem Willy-Brandt-Haus und machte sich mit de Maizière ans Werk. Gegen das Ergebnis laufen jetzt SPD-Verbände Sturm. Es ist allerdings schwer, die Hintergründe des Protests zu trennen. Zwei Richtungen kommen zusammen: Die einen wollen die bürgerlichen Freiheiten und den Datenschutz hochhalten; die anderen ärgert, daß Justizminister Maas eigene Positionen mindestens genauso schnell räumte wie sonst der bayerische Koalitionspartner CSU. Wenn die beiden Strömungen sich vereinen würden, könnte das für Gabriel zum Problem werden. Der SPD-Chef hat jedoch mächtige Verbündete. 

So dürfte der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger, ein alter Anhänger der Vorratsdatenspeicherung, ebenso für Gabriel in die Bresche springen wie der baden-württembergische Innenminister  Reinhold Gall. Während Jäger den Kompromiß von de Maizière und Maas als „ausgewogenen Ausgleich zwischen den Sicherheitsinteressen des einzelnen und datenschutzrechtlichen Vorgaben“ lobte, hätte sich Gall sogar „durchaus längere Fristen für die Nutzung der Daten vorstellen können, weil die Vorgänge, die durch Ermittlungen aufgeklärt werden, sich ja auch über längere Zeiträume erstrecken“. Gall ist jedoch froh, daß überhaupt ein Kompromiß gefunden wurde.

So kann Gabriel auf dem Parteikonvent auf mächtige Verbündete aus Nord-

rhein-Westfalen, immer noch Herzkammer der SPD, und aus Baden-Württemberg zählen. Daß sein eigener niedersächsischer Landesverband ihm in den Rücken fällt, ist auch nicht zu erwarten. Damit stehen ihm Bataillone zur Verfügung, gegen die der linke Flügel mit Akteuren wie Ralf Stegner (Schleswig-Holstein) und Carsten Sieling (Bremen) schon mangels Delegierten- und Mitgliedermasse nicht ankommen dürfte.  

Innerparteilich hat Gabriel ganz gute Karten, aber in der Auseinandersetzung mit Merkel hat er das As noch nicht ziehen können.

Foto: Bundesjustizminister Heiko Maas, SPD-Chef Gabriel: Die Position so schnell geräumt wie sonst nur die CSU