© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/15 / 19. Juni 2015

Die Meistersinger von Mainz
Musiktheater: Richard Wagners historische Oper in der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt
Sebastian Hennig

Im Wagner-Jahr 2013 rollten die Neuproduktionen der großen Tetralogie „Der Ring des Nibelungen“ über die europäischen Bühnen von Palermo bis Paris. Auch die anderen Hauptwerke waren allgegenwärtig. Den anämischen Frühgeburten „Das Liebesverbot“ und „Die Feen“ wurde ungebührlich viel Aufmerksamkeit zuteil. Dagegen stand nur eine nennenswerte Produktion von „Die Meistersinger von Nürnberg“ in Amsterdam.

Zum erstenmal seit seiner Gründung 1933 hat das berühmte Glyndebourne-Festival in Südengland 2011 die „Meistersinger“ aufgeführt. Die unbefangene Inszenierung von David McVicar gefiel dem deutschen Feuilleton damals gar nicht. Auf der Insel nimmt man es leichter. „Don’t be afraid of Wagner. He’s not a Nazi“, titelte der britische Telegraph ein Jahr zuvor. Michael Tanner ist unzweifelhaft der beste Wagner-Kenner des Vereinigten Königreichs. Er wunderte sich bereits 1996 im Spectator: „Where’s that famous Anti-Semitism?“ Der schottische Publizist Ian Dallas faßt in seinem 1990 erschienenen Essay „The New Wagnerian“ den Gehalt der „Meistersinger“ als ein universales Bekenntnis zu einer wohlgeordneten Welt: „daß sein Gebrauch des Begriffes ‘deutsch’ kein nationalistisches Konzept beinhaltet, es reicht tiefer, ist viel kultureller und, so könnte man sagen, rein politisch. Sein Begriff ist das Volk – und tatsächlich stellt jede Hauptfigur des Werkes nichts anderes als das Volk selbst dar. Wie der Titel schon andeutet – es ist ihre Oper und nicht die irgendeiner Hauptfigur. (…) das Werk ist der vollkommenste Ausdruck seiner großen Übereinstimmung nicht nur mit seiner Kunst, sondern mit dem Leben selbst. (…) Wir können drei Schlüsselthemen ausmachen, die dieses Werk beherrschen (…) Das erste ist sein Deutschsein im Sinne eines wachen Bewußtseins, die zentralen Elemente der westlichen Zivilisation zu verkörpern. Das zweite ist eine Meditation über das Thema von Kunst und Wahrheit beziehungsweise von Illusion und Wirklichkeit. Das dritte Thema ist die Bestätigung der gesellschaftlichen Harmonie in einem Nürnberg, das für die ganze Menschheit steht.“

Automatischer Reflex des deutschen Schuldstolzes

Die Nazifizierung der „Meistersinger“ blieb zuletzt nur noch als automatischer Reflex des deutschen Schuldstolzes erhalten. Mehr als hundertmal hat der Bassist Bernd Weikl den Hans Sachs auf der Bühne verkörpert. Er resümiert aus dieser Erfahrung: „Wer zum Beispiel als Hans Sachs in Wagners ‘Meistersinger’ auftritt, der hat es unter Umständen über Jahrzehnte mit dem Dritten Reich zu tun.“

Gemeinsam mit dem Kulturwissenschaftler Peter Bendixen erwog Weikl 2012 in einem Buch einen „Freispruch für Richard Wagner?“(JF 44/13). Kürzlich ließ er eine sarkastische Polemik folgen mit dem Titel: „Warum Richard Wagner in Deutschland verboten werden muß“. Würden sich nicht immer wieder unangreifbare Verteidiger finden, so wäre es wohl längst soweit gediehen. Dafür zu danken ist neben anderen Marcel Reich-Ranicki, der bekannte: „Bis heute bereitet mir keine Oper mehr Freude, mehr Glück als ‘Die Meistersinger von Nürnberg’.“

Es mehren sich inzwischen die Zeichen, daß dieses heitere und lichte Werk auch hierzulande wieder als das erscheinen darf, was es ist. Aus der Zurückhaltung der letzten Jahre lösen sich freiere Darstellungen. Ein Beispiel dafür ist die Inszenierung von Ronny Jakubaschk am Staatstheater Mainz. Dafür bedurfte es offenbar eines äußerlichen Anstoßes. Die Entstehung des Werks ist nämlich mit dem Aufführungsort verbunden. Ein Vorschuß des Mainzer Musikverlegers Franz Schott sollte den Abschluß begünstigen. Während seines Aufenthalts im rechtsrheinischen Biebrich hatte Wagner vom Fenster aus das „goldene Mainz“ im Blick, während er die Partitur ausarbeitete.

Jakubaschks Inszenierung ist nun nicht frei von Albernheiten, entbehrt aber der wilden Bosheit, mit welcher das herrliche Stück in der Vergangenheit in sein Gegenteil verkehrt wurde. Leider spielt das Philharmonische Staatsorchester unter Hermann Bäumer etwas behäbig. Die Bläser brummeln heiser. Es fehlt der Musik an Durchsichtigkeit, und die große Prügelfuge am Ende des zweiten Aktes mündet anstatt in einen wilden Überschuß der Lebenskraft in einen lauten Wirrwarr.

Eine große Traditionsmaschine rollt und pulsiert grün und violett im Bühnenhintergrund. Sie reagiert auf das Verhalten der Menschen. Stadtschreiber Sixtus Beckmesser (Heikki Kilpeläinen) trägt ein Stöckchen mit Silberknauf. Die Meister haben steife Zylinder auf dem Haupt, die ihnen bei der Ankunft zur Versammlung von den Lehrbuben wie Tarnkappen abgenommen werden.

Die Eva (Vida Mikneviciute) singt mächtig laut, leider aber zu einförmig. Wenn sie voll aufdreht, balanciert ihre Stimme auf einem schmalen Grat. Dort geht sie freilich sehr sicher, aber wenig berührend. Das Sanfte und Liebliche will ihr nicht geraten. Der Amerikaner Derrick Ballard gibt völlig akzentfrei und deutlich einen glaubwürdigen Hans Sachs. Im letzten Akt trägt die Eva dann ein bodenlanges weißes Kleid mit blutroten vertikalen Streifen. Sie ist darin geschmückt wie ein Opfertier. Statt fröhlicher Ländler und Dreher gibt es auf der Festwiese einen täppischen Line Dance. Dazu brüllt der Chor, was er nur kann.

Die Schönheit liegt allein im Werk

Die Schönheiten dieser „Meistersinger“ liegen nicht in der konkreten Darstellung, sondern allein im Werk selbst. Sie werden durch die Inszenierung kaum unterstützt, aber auch nicht verdeckt. Das Patriarchalische und Volkstümliche darf unverstellt geschehen. Zuletzt setzt Hans Sachs dem David (Michael Pegher) den für Walhter von Stolzing (Alexander Spemann) bestimmten Meisterhut aufs Haupt, und dieser wendet sich zur Seite, von wo der Beckmesser wieder auf die Bühne zurücktritt für einen versöhnlichen Händeschlag. Nicht Staatsräson, sondern Volksvernunft als Ende aller Mißverständnisse. Viele Wünsche bleiben offen. Doch ihre Erfüllung liegt im Bereich der Möglichkeiten.

Es ginge besser noch als Wolfgang Wagner, dessen historisierende Inszenierung von 1981 bei allem Naturalismus doch seltsam schematisch und unkonkret wirkte. Wenn sich aber Regisseure wie Axel Köhler oder Hinrich Horstkotte der Schönheit der „Meistersänger“ einmal annähmen, so blutvoll und bejahend, wie sie es derzeit mit Webers „Freischütz“ in Dresden und Mozarts „Gärtnerin aus Liebe“ in Detmold tun, dann wäre der zerstörerische Bann um dieses Stück endlich gebrochen. Wahrscheinlich geht das derzeit nur an einem kleinen oder mittleren Haus. Um so bedauerlicher, daß Mainz diese Chance verschenkt hat.



Meistersinger

Die „Meistersinger“, 1868 in München unter Hans von Bülow uraufgeführt, basieren auf einer historischen Überlieferung des Meistergesangs im spätmittelalterlichen bzw. frühneuzeitlichen Nürnberg. Wie für die Figur des als jüdische Karikatur empfundenen Sixtus Beckmesser erntete Richard Wagner auch für die als nationalistisch mißverstandenen Schlußzeilen des Schuhmachers Hans Sachs viel Kritik: „Zerging’ in Dunst / das Heil’ge Röm’sche Reich, / uns bliebe gleich / die heil’ge deutsche Kunst!“

Die nächsten und letzten beiden „Meister-singer“-Vorstellungen im Staatstheater Mainz, Gutenbergplatz 7, finden am 5. und 19. Juli, jeweils um 16 Uhr, statt. Kartentelefon: 0 61 31 / 28 51 222

 www.staatstheater-mainz.com