© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/15 / 19. Juni 2015

Der Kaiser, ein weiblicher Genius und vier Löwen
Einheits- und Nationaldenkmal: Zur Erinnerung an das Monument für Wilhelm I. auf dem Schloßplatz in Berlins Stadtmitte
Norbert Borrmann

Zwei Einheitsdenkmäler möchte sich das wiedervereinte West- und Mitteldeutschland errichten: eines in Leipzig und eines in Berlin (JF 31-32/14). Doch auch 25 Jahre nach der Wiedervereinigung ist noch nichts davon zu sehen. Da verhielt es sich nach der ersten Vereinigung, der Reichsgründung von 1871, ganz anders. Damals wurden nicht zwei Einheitsdenkmäler geplant, sondern hunderte gebaut.

Symbolisiert wurde die Einheit von zwei Persönlichkeiten, denen man sie zu verdanken hatte: Bismarck und Wilhelm I. Während für den Eisernen Kanzler neue Formen der Darstellung gesucht wurden, so in der Gestalt von Bismarcktürmen (JF 14/15), bevorzugte man für Wilhelm I. das klassische Reiterstandbild, wie etwa am Kyffhäuser oder am Deutschen Eck in Koblenz.

Das künstlerisch bedeutsamste Denkmal für Wilhelm I. war sicherlich das Nationaldenkmal in Berlin. Es lag an der Schloßfreiheit, axial gegenüber dem Eosanderportal, an der Westseite des Berliner Stadtschlosses und war über 24 Meter weit in den Spreekanal hineingebaut.

Der Reichstag hatte die Gelder für die Errichtung des Nationaldenkmals bewilligt und Wilhelm II. alle Einzelheiten bezüglich der Ausführung übertragen. Es wurde ein offener Wettbewerb ausgeschrieben, bei dem der Entwurf von Bruno Schmitz, dem Architekten des Kyffhäuser und Deutschen Ecks, am meisten Anklang fand – allerdings nicht beim Kaiser! In einem zweiten, beschränkten Wettbewerb siegte der von Wilhelm II. hochgeschätzte und von ihm persönlich zur Teilnahme aufgeforderte Bildhauer Reinhold Begas. Zusammen mit dem Stuttgarter Architekten Gustav Halmhuber entwarf Begas die neubarocke Denkmalsanlage.

Während bei den Bauten am Kyffhäuser, am Deutschen Eck und auch an dem von Schmitz errichteten Denkmal an der Porta Westfalica die Namen der Bildhauer ganz gegenüber dem Architekten Bruno Schmitz zurücktreten, verhielt es sich beim Nationaldenkmal genau umgekehrt: Es gilt als ein Werk des Bildhauers Begas und nicht des Architekten Halmhuber.

Die SED ließ das Denkmal bis auf den Sockel abtragen

Das 78 Meter breite, 40 Meter tiefe und 21 Meter hohe Nationaldenkmal wurde zwischen 1895 und 1897 errichtet. Die Architektur bestand aus der über neun Stufen zu erreichenden granitenen Grundfläche, auf der sich, dem Wasser zugewandt und noch einmal um vier Stufen erhöht, eine Halle mit gekuppelten ionischen Säulen öffnete. Diese Halle verlief parallel zur Schloßfassade und ging mit zwei viertelkreisförmig nach einwärts geschwungenen Gliedern in die länglichen, pavillonartigen Eckhallen über. Auf den beiden Eckhallen stand jeweils eine von Begas-Schülern aus Kupfer getriebene Quadriga. Die Hallenanlage selbst zeigte, ebenfalls von Begas-Schülern geschaffen, reichen Schmuck, der aus dem Sandstein der Architektur herausgemeißelt war.

Das Zentrum der Anlage, zu dem die Architektur nur die imposante Kulisse abgab, bildete das Reiterstandbild Wilhelms I. Es erhob sich auf einem durch Stufen erhöht gelegenen, reichgeschmückten Postament. Auch hier wurde Begas bei der Ausführung von zahlreichen seiner Schüler unterstützt. An den vier vorspringenden Ecken des Postaments bewachten vier Löwen Siegestrophäen. Auf den Stufen zum Postament lagerten jeweils eine Allegorie des Friedens und eine des Krieges. Dem Reiterstandbild wurde ein weiblicher Genius beigesellt. Eine betont friedvolle Stimmung ging dabei von der Gestalt des Kaisers aus. Hermann Beenken urteilte über dieses Werk: „Dem Irdischen entrückt ist die Gestalt des alten Kaisers Wilhelm in Begas’ Hauptwerk. Hoch zu Rosse läßt sich der Monarch von dem Genius seines Ruhmes in Gestalt eines Palmzweig schulternden Mädchens in die Unsterblichkeit führen.“ 

Am 22. März 1897, dem hundertsten Geburtstag von Wilhelm I., wurde das Nationaldenkmal in Gegenwart des Kaisers und des gesamten deutschen Hochadels sowie zahlreicher ausländischer Ehrengäste feierlich enthüllt.

Während der Novemberrevolution 1918 wurde das Denkmal beschädigt. Das neugewählte Parlament sprach sich jedoch gegen einen Abriß und für eine Renovierung aus. Den Zweiten Weltkrieg überstand das Nationaldenkmal leidlich, allerdings überstand es nicht den Zerstörungswillen der in Ost-Berlin zur Macht gekommenen Kommunisten. Im Winter 1949/50 ließ die SED das Denkmal bis auf den Sockel abtragen. Kurze Zeit später folgte dieser Barbarei die Sprengung des Stadtschlosses. Das Ressentiment der Kommunisten gegen die Hohenzollern und die Monarchie wog schwerer als der Wunsch, in der ohnehin stark kriegszerstörten Stadt das, was noch an großer Baukultur vorhanden war, zu bewahren.

Auf dem Sockel soll das Einheitsdenkmal entstehen

Nicht viel, aber immerhin etwas blieb vom Nationaldenkmal erhalten: die vier Löwen (befreit von den Trophäen), die vor das Raubtierhaus des Ost-Berliner Zoos versetzt wurden, die linke Hand des den Kaiser begleitenden weiblichen Genius und der Sockel. Genau hier, auf dem Sockel des einstigen Nationaldenkmals, soll das heutige Berliner Einheitsdenkmal entstehen. Der Entwurf, der den Titel „Bürger in Bewegung“ trägt, zeigt eine begehbare Schale, spöttisch auch „Salatschüssel“ genannt, die sich nach der einen oder anderen Seite neigt, je nachdem, wohin sich die Besucher bewegen.

Wieviel würdiger und künstlerisch überzeugender war dagegen das ältere Einheitsdenkmal. Würde man die Bürger tatsächlich mit den Füßen abstimmen lassen, ob man nicht vielleicht das alte Denkmal statt des neugeplanten erstehen lassen soll, wäre es nicht überraschend, würde sich die „Salatschüssel“ zur Seite Wilhelms I. neigen.






Dr. Norbert Borrmann ist Kunsthistoriker und Kulturwissenschaftler.