© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/15 / 19. Juni 2015

Hildegard war der letzte Verbündete
Der Erste Weltkrieg in den Kolonien: In Deutsch-Südwestafrika kapitulierten im Juli 1915 die letzten Truppen gegenüber Südafrika
Gregor Maurer

Deutsch-Südwestafrika hatte sich bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs als Siedlungskolonie im Vergleich zu den anderen Kolonien des Reiches sehr gut entwickelt. 1912 lebten dort 13.962 weiße, überwiegend deutsche Siedler, davon 1.035 deutsche Farmer. Allerdings wurde gleichzeitig die Stärke der Schutztruppe bis in das Jahr 1914 auf 2.000 Aktive und 3.000 Reservisten reduziert. Von daher plädierten der damalige Gouverneur, Theodor Seitz, und der Kommandeur der Schutztruppe, Oberstleutnant Joachim von Heydebreck, für eine Verstärkung der Truppen, da sie bei einem eventuellen Krieg mit Großbritannien den Angriff der Südafrikanischen Union befürchteten, die rund   60.000 Mann ins Feld führen konnte. 

Beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs lag in Deutsch-Südwest zudem noch kein fertiger Mobilmachungsplan vor, vielmehr wurden die deutschen Militärs dort von den Ereignissen völlig überrascht. Erst am 7. August begann die laut Gouverneur Seitz „absolut ungenügend vorbereitete“ Mobilmachung, nachdem im April 1914 aufgrund des Wehrgesetzes endlich weitere Reservisten und Landwehrleute eingetroffen waren. Infolge einer mangelhaften Organisation wurden sie den einzelnen Truppenteilen jedoch recht unkoordiniert zugewiesen, was für das Transportwesen in Südwest Probleme mit sich brachte. Die motorisierte Logistik basierte lediglich auf vier Fahrzeugen, davon zwei Landespolizei-Kraftfahrzeuge. Ansonsten standen nur Ochsenwagen zur Verfügung. 

Dieser eklatante Mangel hatte beispielsweise zur Folge, daß im Frühjahr 1915 die Maisernte im Bezirk Gobabis nicht abtransportiert werden konnte und somit den südafrikanischen Einheiten in die Hände fiel. Dank der Eisenbahn gelang es letztlich doch, die komplette Schutztruppe zu Kriegsbeginn im Süden von Deutsch-Südwestafrika zu stationieren. Am 8. und 13. August brachen die Deutschen ihre Küstenfunkstationen in Lüderitz und Swakopmund ab. Englandfeindliche Buren informierten Gouverneur Seitz am 26. August über einen bevorstehenden Angriff General Louis Bothas, des südafrikanischen Ministerpräsidenten, der dann vier Tage nach der südafrikanischen Kriegserklärung am 9. September auf die deutsche Polizeistation Ramansdrift erfolgte. Südafrikanische Einheiten landeten am 19. September in Lüderitzbucht, wobei aber die deutschen Truppen die Stadt schon verlassen und sich ins Landesinnere zurückgezogen hatten. 

Um den feindlichen Vormarsch zu verzögern, zerstörten sie die Eisenbahngleise der quer duch die Namibwüste führenden Linie von Lüderitz nach Keetmanshoop und machten in der Namibwüste zahlreiche Wasserlöcher unbrauchbar. Die erste größere Schlacht während des Krieges fand am 26. September 1914 bei Sandfontein statt, in der den zahlenmäßig deutlich unterlegenen deutschen Truppen ein Sieg gegenüber den südafrikanischen Einheiten gelang. 

Nach der Schlacht schlug von Heydebreck Gouverneur Seitz vor, einigen Soldaten das Eiserne Kreuz zu verleihen. Dieser Aufgabe widmete sich Hildegard Seitz, die Ehefrau des Gouverneurs, die sich dafür einsetzte, statt fehlender Metallorden den Männern einen provisorischen Orden aus Stoff zu verleihen. Eine entsprechende Verordnung zur Vergabe dieser Auszeichnung, das „schwarze Kreuz mit weißem Rand“, wurde am 18. Oktober 1914 erlassen. Die Schutztruppler nannten ihn schon bald den „Hildegard-Orden“, der laut Verordnung eine klassenlose Auszeichnung für alle Dienstgrade sein sollte. Trotz einzelner anfänglicher Erfolge war die Lage der deutschen Truppen, deren Gros nach dem Tod von Heydebrecks durch eine explodierende Gewehrgranate von seinem Nachfolger Victor Franke geführt wurde, aber auch der gesamten Kolonie mehr als prekär. 

Die Portugiesen brachen die Neutralität und griffen an

Im Süden und Osten von britischem Territorium umschlossen, zur See von englischen Kriegsschiffen blockiert, beschlagnahmte nun auch noch unter englischem Druck das gegenüber dem Deutschen Reich neutrale portugiesische Angola alle für Deutsch-Südwest-afrika bestimmten Lebensmitteltransporte. Zudem wurden mehrere tausend Mann portugiesischer Truppen nach Süden in Marsch gesetzt. Nachdem bis zum 20. März 1915 die Schutztruppe weite Teile des Südens geräumt hatte, fand am 27. April in der Umgebung von Gibeon die zentrale Offensive der Südafrikaner im südlichen Südwestafrika ihren Abschluß. 

Innerhalb von nur zehn Tagen hatten drei berittene Brigaden und eine Batterie (gut 10.000 Mann) unter Brigadegeneral Duncan McKenzie 340 Kilometer von Aus nach Gibeon zurückgelegt. Dort gelang es ihnen dann, eine lediglich 700 Mann starke Einheit der deutschen Truppen unter dem Kommando von Major von Kleist, die den Befehl hatte, bei Windhuk zu den Kräften von Oberstleutnant Victor Franke zu stoßen, einzuholen und zu besiegen. Elf Schutztruppler waren gefallen, 30 verwundet; 188 deutsche Soldaten gerieten in Kriegsgefangenschaft, den übrigen, darunter auch Major von Kleist, gelang es jedoch, die feindlichen Linien zu durchbrechen und schließlich Windhuk zu erreichen. Damit war nun endgültig der gesamte Süden der deutschen Kolonie unter südafrikanischer Kontrolle. Windhuk mußten die Deutschen dann am 7. April aufgeben. 

Mit 35.000 Mann marschierten anschließend die Südafrikaner nach Norden. Die somit zwangsläufige deutsche Kapitulation erfolgte dann am 9. Juli 1915 in der Nähe von Otavi mit anschließender Unterzeichnung des Friedensvertrags von Khorab. Die aktiven Offiziere (204) und Soldaten (3.497) wurden in ein Lager bei Aus interniert. Ende 1918 hatte sich dieses in ein Todeslager verwandelt. Täglich waren Tote, auch unter den südafrikanischen Wachmannschaften, zu verzeichnen, die dann im einige Kilometer entfernten Friedhof von Aus beigesetzt wurden. Erst am 13. Mai 1919 wurde das Kriegsgefangenenlager offiziell geschlossen. Heute findet man vor Ort nur noch wenige Grundmauerreste. 

In Versailles wurde 1919 Deutsch-Südwestafrika dann als Völkerbundsmandat der Südafrikanischen Union unterstellt, die diese Kolonie bis zu seiner Unabhängigkeit am 21. März 1990 beherrschte. Auch wenn noch Jahre danach mit südafrikanischen Rand bezahlt wurde und Afrikaans die prägende Sprache war, konnten sich die vor 1914 siedelnden Deutschen bis in die Gegenwart des heutigen Namibias behaupten.

Foto: Deutscher Maschinengewehrtrupp in Deckung vor Termitenhügel: Britisch-südafrikanische Übermacht