© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/15 / 19. Juni 2015

Wenn sogar schöne Musik krank macht
Haste Töne: Bühne und Orchestergraben können Arbeitsplätze mit extremen Belastungen sein / Bei Geiger-Ekzem, Stimmstörungen oder Zungenschmerzen helfen spezialisierte Ärzte
Tobias Dahlbrügge

Die meisten Berufstätigen mit gewöhnlichen Beschäftigungsverhältnissen dürften einen Berufsmusiker beneiden. Fürs heitere Musizieren auch noch bezahlt zu werden ist wohl die gängige Vorstellung. Doch Bühne und Orchestergraben sind sehr spezielle Arbeitsplätze mit teils extremen Belastungen. Diese können krank machen. Darum gibt es eine fächerübergreifende Medizin für Musiker. Wenn die Finger nicht mehr schnell genug sind, die Stimmbänder versagen oder das gefürchtete Lampenfieber einsetzt, bieten Musikerambulanzen in mehreren deutschen Städten Erste Hilfe.

Unter Druck wie ein Leistungssportler

Musikerambulanzen gibt es in Köln, Hannover, Berlin, Dresden und vielen weiteren Orten. Viele sind den jeweiligen Universitätskliniken angeschlossen. Handchirurgen, Hals-Nasen-Ohren-Ärzte, Psychotherapeuten und andere Kapazitäten arbeiten hier Hand in Hand.

Wer das für Schnickschnack hält, sei daran erinnert, daß sich aus den Anforderungen an Athleten auch eine Sportmedizin entwickelt hat. Musiker, die täglich mehrere Stunden üben müssen, stehen unter vergleichbarem Druck wie ein Leistungssportler. Dabei entwickeln sich nicht selten chronische Beschwerden, zum Beispiel Sehnenscheidenentzündung, Taubheit in den Fingerspitzen, entzündete Gelenke, Zungenschmerzen, ein erhöhter Augeninnendruck (bei Bläsern) oder das „Geiger-Ekzem“, eine Hauterkrankung an der Druckstelle des Kinnhalters.

Die meisten Patienten sind jedoch Sänger, insbesondere Musical-Künstler. Die Ursachen von Stimmproblemen sind nicht immer Erkältung oder Überanstrengung. Auch seelischer Streß, Stoffwechselveränderungen durch Medikamente oder Verdauungsstörungen durch schlechte Ernährung können auf die Stimme schlagen. Da eine „Berufsdysphonie“ oder Berufsstimmerkrankung das Ende der Karriere bedeutet, greifen viele Sänger bei Stimmproblemen in Panik eher zu fragwürdigen Hausmitteln, statt den Arzt aufzusuchen.

Auch ohne körperlichen Befund kann die Stimme versagen. Das sogenannte Lampenfieber ist keine normale Aufregung, sondern eine tiefe Angst vor dem Versagen, die zu schlimmen Depressionen führen kann. Dabei ist die Angst vor der Angst noch lähmender als die Angst selbst. Die Musikerambulanzen verweisen in solchen Fällen an kompetente Therapeuten.

Eine Ursache für die Versagensängste kann Mobbing sein. Gerade die Orchestermusiker der Theater stehen unter erheblichem Leistungsdruck, denn jährlich gibt es nur wenige freie Stellen für Hunderte Bewerber. Wer hier Schwäche zeigt, kann seinen Stuhl räumen. Das läßt manchen vor dem Solo die Nerven durchgehen.

Bei bekannten Unterhaltungskünstlern stehen Mediendruck und Erwartungen der Fans im Vordergrund, insbesondere wenn Publikumslieblinge durch unberechenbare Internetschwärme schon im nächsten Augenblick Opfer einer Haßkampagne werden können.

Der Gehörschutz für die Orchestermitglieder zählt zu den Arbeitsschutzrichtlinien der Theater. Dennoch herrschen in einem Orchestergraben Lautstärken von bis zu über 110 Dezibel, nahe der Schmerzgrenze. Das ist wie beim Straßenbau, wenn der Preßlufthammer knattert. Die Musikambulanz am Universitätsklinikum Düsseldorf kritisierte in diesem Zusammenhang, daß viele Dirigenten dazu neigen, Stücke zu überdimensioniert zu besetzen und zu laut zu proben. Doch statt auf ein Umdenken bei den Dirigenten zu hoffen, ist den Musikern schneller mit einem angepaßten Gehörschutz mit Filtern für bestimmte Frequenzen geholfen.