© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/15 / 26. Juni 2015

Lockerungsübungen für die Parlamentsarmee
Auslandseinsätze: Die „Rühe-Kommission“ empfiehlt, vom Parlamentsvorbehalt beim Einsatz der Bundeswehr abzuweichen – ein bißchen
Felix Lehmann

Das Thema „Landesverteidigung“ spielt für die Bundeswehr längst nur noch eine untergeordnete Rolle. Nach der Wiedervereinigung hat die Armee einen Transformationsprozeß durchlaufen, dessen Ursachen auch in der neuen Rolle Deutschlands in der Weltpolitik zu suchen sind. 

An 13 Auslandseinsätzen ist die Bundeswehr mit derzeit 2.600 Soldaten beteiligt. Ohne Parlamentsbeschluß des Bundestages wäre keiner dieser Einsätze möglich geworden. Denn im Vergleich zu anderen Ländern entscheidet das Parlament, ob und wohin deutsche Soldaten entsandt werden. Die Abgeordneten stimmen nicht nur über jeden Einsatz einzeln ab, sie bestimmen Einsatzdetails und legen nebenher die zahlenmäßige Stärke der Armee und die Grundzüge der Organisation fest. Beschreitet Deutschland mit seiner Sicherheitspolitik wieder den gefürchteten „Sonderweg“? Hat der Emanzipationsprozeß der Bundeswehr sein Ziel schon erreicht, oder schadet Deutschland durch die Beteiligung des Bundestages gar seinen Bündnisverpflichtungen?

Eine Kommission unter Leitung des früheren Verteidigungsministers Volker Rühe (CDU) hat sich diesen Fragen angenommen und den Parlamentsvorbehalt auf den Prüfstand gestellt – ein bißchen zumindest. Der Bundestag hatte Rühe im März vergangenen Jahres damit beauftragt zu prüfen, ob der Parlamentsvorbehalt Deutschlands Bündnisverpflichtungen beeinträchtige. 

Bislang lehnte der Bundestag keinen Antrag ab

Die fortschreitende Bündnisintegration, die wechselseitigen Abhängigkeiten der Armeen im europäischen Vertei-

digungsverbund und die daraus erwachsenen politischen Verpflichtungen seien unter der engen Aufsicht des Bundestages nicht mehr zu schaffen, lautete die Befürchtung. Verbündete sehen in den breiten Kompetenzen des Bundestages in sicherheitspolitischen Fragen schon die Ursache für den kritisierten deutschen „Sonderweg“.

Möglich wurde der Auslandseinsatz von Bundeswehrsoldaten überhaupt erst durch das sogenannte „Out of area“-Urteil des Bundesverfassungsgerichtes. Die Karlsruher Richter entschieden 1994, daß Bundeswehrsoldaten auch außerhalb der Nato-Grenzen eingesetzt werden dürfen. Die „Parlamentsarmee“ bekam neue Konturen. Möglich wurde die Entscheidung wohl vor allem durch die weltpolitischen Umwälzungen zu Beginn der neunziger Jahre. Nach dem Fall der Sowjetunion, dem zweiten Golfkrieg, dem Sturz des somalischen Diktators Siad Barre, den Bürgerkriegen auf dem Balkan aber auch aufgrund des politischen Druckes der Verbündeten hatte sich die deutsche Politik einen Kurswechsel aufdrängen lassen.

Dabei ist die Debatte über die Parlamentsbeteiligung eigentlich überflüssig. Seit 1994 stellten die verschiedenen Bundesregierungen mehr als 140 Anträge für die Entsendung deutscher Soldaten ins Ausland – noch nie lehnte der Bundestag ein Ersuchen ab. Trotz höchster Zustimmungsquoten für Auslandseinsätze schlägt Rühe nun vor, daß bestimmte Einsätze künftig nicht mehr zustimmungspflichtig sein sollen, zum Beispiel der Einsatz von Führungspersonal in Hauptquartieren und Stäben von EU und Nato. Auch für Missionen, bei denen Soldaten zwar Waffen tragen, aber eine Verwicklung in Kämpfe nicht ernsthaft zu erwarten wäre, sei das Bundestagsmandat obsolet. Rühe begründet dies unter anderem mit den Anforderungen der Nato, nach denen die Bundeswehr bestimmte militärische Fähigkeiten permanent verfügbar halten müsse. Die Bundeswehr stellt bei den unter Nato-Kommando stattfindenden Awacs-Aufklärungsflügen zum Beispiel ein Drittel des Personals. Im Zuge der Libyen-Krise 2011 hatte die Bundesregierung nach der Entscheidung des Ex-Außenministers Westerwelle, sich nicht an der militärischen Intervention der Nato-Staaten zu beteiligen, das deutsche Awacs-Personal einfach abgezogen. Ein Drittel der Mannschaftsstärke stand plötzlich nicht mehr zur Verfügung und Deutschlands Zuverlässigkeit unter den Nato-Partnern war in Frage gestellt.

Von der Opposition hagelt es Kritik an der Arbeit der Rühe-Kommission. Grüne und Linke hatten sich gar geweigert, die ihnen zustehenden Plätze zu besetzen. Alexander Neu von der Linksfraktion stellte klar, seine Fraktion wolle sich nicht zum „Feigenblatt für den Abbau parlamentarischer Entscheidungs- und Kontrollkompetenz“ machen. Der Parlamentsvorbehalt müsse sogar noch gestärkt werden – etwa hinsichtlich des Einsatzes von Kampfdrohnen.