© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/15 / 26. Juni 2015

Eiszeit vor Gericht
NSU-Prozeß: Das Verhältnis zwischen Beate Zschäpe und ihren drei Anwälten scheint endgültig zerrüttet
Hinrich Rohbohm

Die aufmunternden Worte und das Lächeln ihres Verteidigers Wolfgang Heer zu Beginn der Verhandlung ignoriert Beate Zschäpe. Wie ein kleines, bockiges Kind blickt sie im NSU-Prozeß vor dem Münchner Oberlandesgericht stur geradeaus, stets bemüht, ihren Anwälten nicht ins Gesicht sehen zu müssen.

 Die Hauptangeklagte in der dem NSU zur Last gelegten Mordserie führt derzeit einen Privatkrieg gegen ihre Verteidiger. Mal wieder. Bereits im Sommer vergangenen Jahres hatte sie versucht, ihre Anwälte zu wechseln. Ihre Begründung überzeugte das Gericht indes nicht. Auch dieses Mal scheint es ähnlich zu sein. Ihre Verteidigerin Anja Sturm würde sie mit zuwenig Engagement vertreten, ist sie plötzlich überzeugt. Ihre beiden anderen Anwälte, Wolfgang Heer und Wolfgang Stahl, widersprechen, nehmen ihre Kollegin vor den Anschuldigungen in Schutz. Zschäpes Frist, um dem Vorsitzenden Richter Manfred Götzl den Grund für den Anwaltswechsel schriftlich darzulegen, hat sie bereits zweimal verstreichen lassen.

Beobachter sprechen von einer Machtdemonstration Zschäpes. Doch es wirkt eher wie der Aufstand eines pubertierenden Teenagers als eine mit Kalkül betriebene Strategie der 40jährigen. Oftmals ist sie nicht bei der Sache, spielt während der Verhandlung an ihrem Laptop herum, witzelte mit ihren Verteidigern, ehe sie sich mit ihnen überworfen hatte.

 „Frau Zschäpe, sind Sie bei der Sache?“ will sich Richter Götze in der vergangenen Woche darüber versichern, ob die Beschuldigte dem Prozeß noch folgt. Zschäpe zuckt leicht zusammen. Sie ist so überrascht, daß ihr ein spontanes Ja entfährt. Ein einziges Wort nur, in das die Öffentlichkeit nun viel hineininterpretieren kann. War das Absicht? Will sie damit ihre Verteidiger provozieren, mit denen vereinbart war, daß sie während des Prozesses schweigt? Wahrscheinlicher ist, daß Zschäpe einfach nur unaufmerksam war. So, wie es in zahlreichen anderen Situationen während des inzwischen über zwei Jahre andauernden Prozesses auch immer wieder vorgekommen ist. Mit dem Unterschied, daß Zschäpe sonst nur nickte, statt zu antworten.  

Zumeist steckt hinter ihren Reaktionen kein Plan, kein sorgfältig durchdachtes Manöver. In einem Schreiben an das Oberlandesgericht München soll Zschäpe nun in Aussicht gestellt haben, doch auszusagen. Der mögliche Umfang blieb allerdings unklar. Voraussetzung: Sie darf ihre Anwälte wechseln.

„An Rechtsradikalismus hatten wir nie gedacht“

 In der vergangenen Woche gab sie  einmal mehr das Bild einer  Angeklagten ab, die den Fall demonstrativ ignoriert. Drei Verfassungsschützer waren als Zeugen geladen, deren Aussagen auch für sie von Interesse gewesen wären. Nach wie vor bestehen Zweifel, ob nicht auch der Verfassungsschutz in die dem NSU zur Last gelegten  Morde verwickelt sein könnte.

Schließlich war Andreas Temme, ein Mitarbeiter des hessischen Verfassungsschutzes, zum gleichen Zeitpunkt in jenem Kasseler Internetcafé zugegen, in dem der Türke Halit Yozgat 2006 ermordet worden war. Temme habe dort mit einer Prostituierten gechattet, während seine schwangere Frau zu Hause war, erklärt einer der Zeugen. Für Temme eine heikle Angelegenheit, wie er selbst bereits vor Gericht zugegeben hatte, sich aber sonst kaum noch an etwas erinnern konnte oder wollte. Nach dem Mord hatte er sich nicht als Zeuge bei der Polizei gemeldet. Erst die Ermittlungen haben ergeben, daß er am Tatort war. Das am Boden liegende Opfer will er beim Hinausgehen ebensowenig bemerkt haben wie die Schüsse. Eine Version, die Raum für Spekulationen läßt. Hatte Temme etwas mit dem Mord zu tun? Zeitweilig geriet er unter Mordverdacht, kam in Untersuchungshaft. Sein Arbeitsplatz in der Kasseler Außenstelle der Behörde wurde durchsucht, geringe Mengen Drogen sichergestellt.

„Das ist noch ein Rest aus Bundeswehrzeiten, ich weiß auch nicht, warum ich die aufgehoben habe“, berichtet Temme seinem Abteilungsleiter Hans-Joachim M. in einem aufgezeichneten Telefonat, das vor Gericht abgespielt wird. M. ist wie zwei weitere Verfassungsschützer auf Antrag der Nebenklageanwälte von Yozgats Hinterbliebenen als Zeuge geladen, ein Mann mit weißgrauem Haar und Vollbart. Er ist im Vorruhestand. Richter Manfred Götzl will von ihm vor dem Abspielen der Aufzeichnung wissen, ob er sich an das Telefonat mit Temme erinnern könne. M. kann es nicht, betont aber: „Wir haben Maßnahmen der Polizei weder behindert noch gesteuert.“

In dem aufgezeichneten Telefonat ist die Stimme Temmes zu hören. Sie ist leise und klingt bedrückt. Er bittet M. um Rat, was er Amtsleiter Lutz Irrgang erzählen solle. M. baut den Mitarbeiter auf. „Für mich gibt es immer noch den Kollegen Temme, ich will Sie nicht weiter reinziehen. Ich will Ihnen keinen falschen Rat erteilen. So ganz neutral sind wir beide ja nicht, wir sitzen in der gleichen Abteilung.“ Sein Rat: „Sagen Sie es, wie es war, taktisches Geplänkel wäre da der falsche Weg. Ich würde da ohne Wenn und Aber ganz offen erzählen, ganz offen aus der Hüfte schießen, weder aufbauschen noch aus irgendwelcher Scham irgend etwas weglassen.“

Nach der Aufzeichnung betont M.: „Ich kenne den Grund des Aufenthaltes im Internet-Café. Es hat mit dem Dienst nichts zu tun gehabt, absolut nichts. Ich weiß, auf was für Seiten er gesurft hat, und ich weiß, daß es seiner Frau nicht gefallen hätte.“ Darüber hinaus versichert der 64jährige: „Unser Ziel war nicht, Einfluß auf das Ermittlungsverfahren auszuüben.“ Als Täter habe er sich Temme nicht vorstellen können. Jedoch habe man behördenintern schon damals vermutet, daß die Tat einen rechtsextremen Hintergrund haben könne.

Eine überraschende Aussage, die der danach befragte Zeuge Frank Ulrich F. anders darstellt. Die Morde habe man für einen normalen Kriminalfall gehalten. „An Rechtsradikalismus hatten wir nie gedacht“, sagt F. „Hallo Andreas, dir geht es nicht gut, das höre ich“, ist F. in der Aufzeichnung zu vernehmen. „Uns auch nicht“, schiebt er nach. „Ich hab riesen Mist gebaut, auch dienstlich“, hört man Temme sagen. „Dienstlich ist nicht so schlimm, aber das Private, da hättest du mal mit uns sprechen sollen. Die Sachen, die am Wochenende noch so merkwürdig ausgesehen haben, die haben sich aber relativiert, ne?“ entgegnet F., der ebenfalls versucht, Temme zu beruhigen. „Jeder hat Probleme, aber bei uns ist das eben ein bißchen kritischer. Das war ein Fehler, daß du da hingehst, wo du arbeitest.“ Dem Richter sagt F.: „Wir gingen davon aus, daß er wiederkommt, daß alles ein Versehen ist, das mit der Polizei. Wir haben angenommen, daß er zum falschen Zeitpunkt am falschen Platz war.“

Wie diese Aussagen mit der rätselhaften Formulierung von Temmes Geheimschutzbeauftragten H. zusammenpassen, wird sich zeigen, wenn H. als Zeuge im NSU-Prozeß erscheinen muß. „Ich sage ja jedem: Wenn er weiß, daß so etwas passiert, bitte nicht vorbeifahren“, soll der in einem weiteren Telefonat gewarnt haben, das die Staatsanwaltschaft jedoch als aus dem Zusammenhang gerissen bezeichnet. 

Foto: Beate Zschäpe vor dem Münchener Oberlandesgericht: Die Rolle der V-Leute bleibt weiter undurchsichtig