© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/15 / 26. Juni 2015

Wer kommt, bleibt
Asylbewerber: Bund und Länder wollen Verfahren verkürzen und Abschiebungen erleichtern. Die Praxis sieht derzeit ganz anders aus
Christian Vollradt

Alte Probleme, neuer Plan. Am vergangenen Donnerstag einigten sich Bund und Länder auf einen sogenannten „Aktionsplan“, mit dem man die Folgen der steigenden Zahl von Asylbewerbern beziehungsweise Wirtschaftsflüchtlingen bewältigen möchte. Künftig soll schneller über Asylanträge entschieden und die notwendige Rückführung in die Herkunftsländer vollzogen werden können, resümierte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im Anschluß an das Treffen mit den Ministerpräsidenten. Außerdem sei der Bund bereit, die Integrationskurse für Asylsuchende und Geduldete mit guter Bleibeperspektive zu öffnen und das Angebot der Sprachkurse auszubauen. 

Bereits zuvor hatte die Bundesregierung zugesagt, ihre Soforthilfe in diesem Jahr auf eine Milliarde Euro zu verdoppeln und sich ab 2016 dauerhaft an den Kosten zu beteiligen. Dies sei jedoch gekoppelt an die Zahl der Flüchtlinge; die Details sollen bis zum Herbst geregelt werden. „Ich glaube, daß noch viel Arbeit vor uns liegt“, meinte Merkel.

Nur ein Teil der Ausreisepflichtigen geht

Damit dürfte die Kanzlerin richtigliegen. Denn der Trend steigender Asylbewerberzahlen wird sich fortsetzen, das zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in Nürnberg rechnet in diesem Jahr mit 400.000 Erst- und 50.000 Folgeantragstellern. Die Behörde hat zur Zeit 2.800 Mitarbeiter, von denen etwa die Hälfte für Asylverfahren zuständig ist. Im Mai hat die Bundesregierung 2.000 weitere Stellen für die Behörde beschlossen. Um die Dimension zu veranschaulichen: Allein im ersten Quartal 2015 hatte das BAMF doppelt so viele Anträge zu entscheiden wie im gesamten Jahr 2010. Mittlerweile ist die durchschnittliche Bearbeitungsdauer für einen Antrag zwar gesunken (auf fünf Monate); dennoch hat sich die Zahl der Verfahren, in denen eine Entscheidung noch aussteht, erheblich erhöht: von 96.000 (Ende des Jahres 2013) auf 210.000 (Ende April 2015).

Etwa zwanzig Prozent aller Asylbewerber in Deutschland haben bereits in einem anderen EU-Staat einen Asylantrag gestellt oder wurden entsprechend registriert. Laut der geltenden Dublin-II-Verordnung ist die Bundesrepublik demnach nicht für sie zuständig; die Betreffenden müssen in das Land zurück, das ihren Antrag zu bearbeiten hat. Auch anerkannte Flüchtlinge genießen erst nach fünf Jahren die volle Freizügigkeit in der EU. 

In rund 43.000 Fällen hat das Bundesamt im vergangenen Jahr negativ entschieden. Die abgelehnten Asylbewerber müssen Deutschland verlassen. 2014 nahmen 13.500 von ihnen an einem vom Bund finanzierten Rückkehrerprogramm teil; das heißt, sie bekamen Geld, um in ihre Herkunftsländer zurückzukehren. Zu „Rückführungen“, also Abschiebungen von abgelehnten Asylbewerbern, die nicht freiwillig ausgereist sind, kam es 2014 knapp 11.000mal. „Nur ein Teil der abgelehnten, ausreisepflichtigen Personen kehrt tatsächlich in ihre Herkunftsländer zurück“, stellte eine Behördenmitarbeiterin jüngst in einem Aufsatz nüchtern fest. 

„Fehlender Wille, geltendes Recht durchzusetzen“

Oder um es mit dem Leiter des Forschungszentrums für Ausländer- und Asylrecht an der Universität Konstanz, Kay Hailbronner, auszudrücken: „Der Ausgang des Asylverfahrens ist für den Verbleib in Deutschland nicht entscheidend.“ Die Gründe hierfür sieht der Professor in der Vielzahl von Möglichkeiten, die Ausreisepflicht zu umgehen. Und: „Ursächlich ist aber auch das Fehlen eines politischen Willens, das geltende Recht durchzusetzen“, so Hailbronner.

Etwa 115.000 Personen genießen den Status der „Duldung“; das heißt, ihre Abschiebung ist ausgesetzt. Dies kann rechtliche Gründe haben – oder aber der Tatsache geschuldet sein, daß sie keine Ausweispapiere haben oder nicht reisefähig sind. Die Zahl der Geduldeten wird sich in Kürze wahrscheinlich deutlich verringern. Denn mit der neuen Bleiberechtsregelung, die noch in dieser Legislaturperiode in Kraft treten soll, dürften viele von ihnen einen Aufenthaltstitel bekommen. 

Warum bei der Asylpolitik soviel im argen liegt, hat auch mit dem deutschen Föderalismus zu tun. So ist für das Verfahren das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (mit seinen rund 40 Außenstellen zuständig). Die Fachaufsicht darüber hat in aufenthaltsrechtlichen Fragen das Bundesinnenministerium, federführend in Fragen des Asylbewerberleistungsgesetzes (Ernährung, Unterkunft, Kleidung, medizinische Versorgung) ist jedoch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Daraus ergibt sich eine Spannung zwischen ordnungsrechtlicher Einwanderungsbeschränkung und sozialstaatlichem Ansatz. Für den Vollzug sind die Kommunen zuständig, die dabei sowohl im Auftrag der Länder als auch durch ihr Selbstverwaltungsrecht agieren. Wie also geltendes Recht – etwa bei Duldung oder Abschiebung – angewandt wird, liegt in einem nicht unerheblichen Maß im Ermessen der Kreise und Gemeinden, die somit „migrationssteuernd agieren“.   

Akut ist derzeit auch die Frage der Gesundheitsversorgung. Für Asylbewerber, die weniger als 15 Monate in Deutschland sind und deren Antrag noch nicht anerkannt wurde, gilt zur Zeit: Es dürfen lediglich akute Schmerzen behandelt, aber nicht chronische Krankheiten geheilt werden. Die Kosten dafür (zwischen 1.000 und 3.000 Euro pro Kopf im Jahr) tragen die Kommunen. Bund und Länder prüfen nun, die ärztliche Behandlung für Asylbewerber auf die gesetzlichen Krankenversicherungen als Dienstleister zu übertragen. 

Foto: Asylbewerber in einer ehemaligen Offiziersschule in Suhl (Thüringen), die als provisorische Erstaufnahmestelle dient: Bundesregierung hat eine Milliarde Euro Soforthilfe zugesichert