© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/15 / 26. Juni 2015

Wirklich alternativlos
Währungsunion: Vor 25 Jahren beschleunigte die D-Mark-Einführung in der DDR die deutsche Einheit
Detlef Kühn

Kommt die D-Mark, bleiben wir. Kommt sie nicht, geh’n wir zu ihr“, hieß es Ende 1989 auf Transparenten bei den Massendemonstrationen in der untergehenden DDR. Aus dem ursprünglich an die SED-Machthaber gerichteten Ruf „Wir sind das Volk“ war die klare Botschaft „Wir sind ein Volk“ geworden. Realpolitiker in Ost und West verstanden beides zutreffend als Forderung nach baldiger Wiedervereinigung, als Wunsch der Deutschen in der DDR, nun nach vier Jahrzehnten unfreiwilliger Teilung so leben zu können, wie die Landsleute im Westen es seit langem gewohnt waren.

Hunderttausende hatten seit Öffnung der ungarischen Westgrenze am 11. September 1989 die DDR verlassen. Anfang 1990 kampierten Zehntausende Übersiedler in Notunterkünften. Der damalige SPD-Kanzlerkandidat Oskar Lafontaine forderte die Errichtung einer neuen sozialen Mauer: Nur wenn ein DDR-Bürger Wohnung und Arbeitsplatz nachweisen kann, solle der Umzug in den Westen noch möglich sein. Die Einheitsbefürworter dachten anders: „Wenn wir nicht wollen, daß sie zur D-Mark kommen, muß die D-Mark zu den Menschen gehen“, erklärte Vizekanzleramtschef Horst Teltschik (CDU).

„Alu-Chips sind nichts wert auf der Welt, wir brauchen mehr Valutageld!“, so brachten Leipziger Demonstranten die Misere der DDR-Mark auf den Punkt. Die harte Deutsche Mark (DM) war hingegen das Symbol für Freiheit schlechthin. Nur ihr Besitz garantierte dem Volk in der Mangelverwaltung des real existierenden Sozialismus die Bezahlung von Auslandsreisen und den Zugang zu „Westwaren“ – vom Kaffee über Kosmetika und Textilien bis hin zu hochwertigen Werkzeugen oder Autos. Die D-Mark war schon seit Öffnung der staatlichen „Intershops“ für DDR-Bürger 1974 die inoffizielle Zweitwährung. Für ihren Besitz brauchte man allerdings Westverwandte oder -kontakte.

Am 1. Juli 1990 war es endlich soweit: Die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion trat in Kraft und führte noch vor der staatlichen Vereinigung am 3. Oktober die D-Mark in der DDR als einziges Zahlungsmittel ein. Der Umtauschkurs für Sparguthaben betrug 2:1. Lediglich 2.000 bis 6.000 DDR-Mark wurden – nach Alter gestaffelt – 1:1 umgestellt. Auch die nominal niedrigen Löhne, Renten und Mieten wurden zu diesem Kurs umgestellt. Die Guthaben von Personen und Firmen im Ausland wurden 3:1 abgewertet.

Im Vergleich zum Schwarzmarktkurs war das eine enorme Aufwertung. Zum Jahreswechsel 1989/90 lag der Kurs bei 14:1, im Juni 1990 bei 4:1 – ein Austauschverhältnis, das auch viele Ökonomen für realistisch hielten. Der offizielle Umtauschkurs war praktisch ein Milliardengeschenk an die Landsleute im Osten. Bundesbankpräsident Karl Otto Pöhl (SPD) hatte vergeblich gewarnt, „die Wiedervereinigung mit der Notenpresse zu finanzieren“, denn die Politiker im Westen hofften sich so das Wohlwollen der neuen Wähler sichern zu können – schließlich stand in einem halben Jahr die nächste Bundestagswahl an.

Milliardengeschenk wirkte als Konjunkturprogramm

Zudem floß ein erheblicher Teil dieser Gelder über Käufe der begehrten Westwaren bald wieder zurück und wirkte so in vielen Branchen wie ein Konjunkturprogramm. Auch die französische Autoindustrie oder die Hotellerie in den Alpen und der Adria profitierte von den 16 Millionen neuen Kunden. Viel von dieser Anschubfinanzierung floß in die marode Bausubstanz der DDR, wie man bald an den sanierten Dächern in Städten und Dörfern feststellen konnte.

Doch mit vielen Warnungen behielten die skeptischen Ökonomen recht: Wer kaufte jetzt noch einen seit 1964 technisch unveränderten Mini-Pkw „Trabant“, selbst wenn ihn nun ein Polo-Motor antrieb? Selbst international konkurrenzfähige Branchen wie der Schienenfahrzeugbau hatten einen schweren Stand. Für die DDR-Exportbetriebe brachen fast alle Märkte im ehemaligen Ostblock weg. Dort war man weder willens noch in der Lage, die nun geforderten Preise plötzlich in harter Währung zu bezahlen. Neue Märkte im Westen waren von den ehemaligen Staatsbetrieben kaum zu erschließen. Sie konnten ihre Arbeitnehmer nicht mehr bezahlen, die Zahl der Erwerbslosen schoß in die Höhe. Nur ein Teil fand als Pendler westlich der ehemaligen Zonengrenze schnell eine neue Arbeitsstelle. Viele zogen gänzlich fort und gingen damit der Wirtschaft in den „neuen“ Bundesländern auf Dauer verloren. Die Folgen sind noch heute spürbar.

Seit 2002 bezahlt das wiedervereinigte Deutschland mit dem eher weichen Euro, dessen Wert nicht mehr von der Bundesbank gewährleistet wird, sondern von den Entscheidungen der Europäischen Zentralbank (EZB) abhängt. Deren Direktorium ist nicht mehr primär den Interessen der deutschen Wirtschaft und der deutschen Steuerzahler verpflichtet. Jetzt wird von Deutschen nicht mehr Solidarität mit den eigenen Landsleuten erwartet, sondern mit Europäern oder gar Zuwanderern aus anderen Kontinenten, die sich meistens nicht den „deutschen Tugenden“ verbunden fühlen. Infolge der Wiedervereinigung stieg die DM-Inflationsrate kurzzeitig auf über fünf Prozent, doch schon 1994 pendelte sich die Geldentwertung wieder auf das Niveau von 1989 ein. Eine DM-Rettung – analog zur Euro-Rettung – stand niemals zur Debatte.

Der Vergleich zwischen der DM- und der Euro-Einführung zeigt: Die vom Kabinett Kohl/Waigel/Genscher trotz aller Bedenken umgesetzte Währungsunion in Deutschland war politisch geboten und im Ergebnis auch wirtschaftlich alternativlos. Dieser Erfolg hat die Mitte Europas stabilisiert, allerdings neue existentielle Gefährdungen nicht verhindern können. Der Euro dagegen war und ist politisch nicht geboten. An seinem Anfang stand die Verabredung zwischen Bundeskanzler Helmut Kohl und Frankreichs Präsident François Mitterrand, die Wiedervereinigung durch Abschaffung der D-Mark für „Europa“ erträglich zu gestalten. Die Eurozone ist eine Transferunion von Nord nach Süd. Oder wie es der Währungsexperte Wilhelm Hankel auf den Punkt brachte: „Der Euro spaltet Europa und reißt es in den Abgrund.“



Zeitzeugen Sarrazin und Tietmeyer

Als Beamter im Bundesfinanzministerium prognostizierte Thilo Sarrazin im März 1990, daß die Währungsunion zu einem Abbau von 35 bis 40 Prozent der DDR-Industriearbeitsplätze führen würde. „Die sich daraus ergebende Arbeitslosigkeit in der DDR hatte ich auf 1,4 Millionen Menschen geschätzt“, erklärte der SPD-Politiker im Manager Magazin. Eine schnelle Modernisierung des DDR-Kapitalstocks auf westdeutsches Niveau erfordere einen jährlichen Kapitalimport in dreistelliger Milliardenhöhe. Eine seriöse Alternative hierzu gab es nicht – „außer man peilte eine Lösung mit zwei deutschen Staaten an“, so Sarrazin. Hans Tietmeyer, damals Direktor der Bundesbank, sorgte sich um des „Entstehen eines Geldüberhangs infolge der großzügigen Umstellung der Guthaben und der geforderten asymmetrischen Streichung der Schulden“. Bis Ende 1990 wurde zudem der Export in die Ostblockstaaten künstlich aufrechterhalten, obwohl daraus „erhebliche finanzielle Lasten für den Staat zur Abdeckung der Differenz zwischen der D-Mark und dem Transferrubel entstanden“, so Tietmeyer. (fis)

Foto: Finanzministerkollegen Walter Romberg (SPD, l.) und Theo Waigel (CSU, r.) mit der stellvertretenden DDR-Regierungssprecherin Angela Merkel bei einer Pressekonferenz am 1. Juli 1990 in Berlin: Großer Geldüberhang und erhebliche finanzielle Lasten für den Staat