© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/15 / 26. Juni 2015

Deutschland in der Weltspitze etablieren
Radsport: Nach den Dopingfällen der vergangenen Jahre setzt das Giant-Alpecin-Team auf einen Neustart / Bund Deutscher Radfahrer erfreut über enge Kooperation
Lukas Steinwandter

Wenn am 4. Juli die Elite auf zwei Rädern wieder durch Frankreich rollt, fährt erstmals seit fünf Jahren wieder eine deutsche Profimannschaft in der Königsklasse des Radsports mit. Das erstemal seit 2012 überträgt die ARD auch wieder live die Frankreichrundfahrt. Das Management von Team Giant-Alpecin kann sich mit den Vorzeigeathleten John Degenkolb bei der diesjährigen Tour de France durchaus Erfolge ausrechnen. Doch wie kam es dazu, daß nach den Pleiten von Team Gerolsteiner und Team Milram die Deutschen wieder in den Radrennsport einstiegen?

Eine neue Generation soll es nun richten

Anfang Januar dieses Jahres präsentierte sich in der Bundeshauptstadt die neue deutsche Profimannschaft Team Giant-Alpecin. Ein wagemutiges Unterfangen, war doch die jüngere deutsche Radsportgeschichte geprägt von Dopingskandalen um die Teams Telekom, Gerolsteiner und zuletzt Milram. Auch einzelne Fahrer und einstige deutsche Radsport-Ikonen wie Jan Ullrich oder Erik Zabel haben den Ruf des Sports tief zerrüttet, beinahe komplett zerstört. Teamchef Iwan Spekenbrink erklärtes Ziel: „Die Zeit, die hinter uns liegt, muß ein Mahnmal sein. Niemand in diesem Sport darf aufhören daran zu glauben und zu arbeiten, diesen Sport zu erneuern.“ In der Radsportszene gilt der Niederländer als Erneuerer, als jemand, der Verantwortung für das neue Gesicht des gebeutelten Sports übernimmt. 

Das glaubt auch Marcel Klöpping. Der Pressereferent von Alpecin sieht den Radsport in Deutschland wieder auf dem Vormarsch. „Es gibt eine neue Generation an Fahrern. Das Team, mit dem wir an der Stelle zusammenarbeiten, ist Vorreiter in dieser Rolle“, sagte er der JUNGEN FREIHEIT. Damit sind nicht nur der Teamchef, sondern vor allem auch, die Fahrer gemeint. Fast alle der Athleten, allen voran Degenkolb, Marcel Kittel und Tom Dumoulin. Sie alle stehen für die nächste Generation des Radsports. Die Mannschaft sei „besonders variantenreich zusammengestellt“, sagt Klöpping stolz. Tatsächlich ist das Team, wie jede andere Erste-Liga-Mannschaft auch, zusammengestellt aus Klassiker-Fahrern, Sprintern, Bergfahrern, dem Kapitän und natürlich den Helfern, im Radsportjargon auch „Wasserträger“ genannt. Unter den 27 Pedalisten befinden sich fünf deutsche Fahrer. 

Der angesprochene Thüringer Degenkolb und der Sprinter Marcel Kittel zählen zu den Weltbesten. Degenkolb, der in Bayern aufwuchs, bestach im vergangenen Jahr bei der Vuelta a España, der dritten der drei großen Landesrundfahrten. Dort holte er sich vier Etappensiege. In diesem Jahr triumphierte er bei den prestigeträchtigen Klassikern Mailand–Sanremo und Paris–Roubaix. Neben ihm steht der Sprinter Marcel Kittel hoch im Kurs. Der 27jährige erreichte 2014 nicht nur zwei Etappensiege beim Giro d’Italia, sondern gleich vier Siege bei der Tour de France, womit er gemeinsam mit seinem Landsmann Andé Greipel die Frankreichrundfahrt in eine „Tour d’Allemagne“ verwandelte. Der Hüne Kittel wurde 2013 und 2014 zum „Radsportler des Jahres“ und zum „Sportler des Jahres von Thüringen“ gekürt. Doch eine Virusinfektion, die er sich im Februar zugezogen hatte, warf ihn erheblich zurück. Kurz vor Tourbeginn zeigte sich der Thüringer optimistisch und erklärte: „Mein Körper ist wieder im Rennmodus, und ich bin motiviert und guter Dinge.“ Bei Drucklegung dieser Zeitung stand noch nicht fest, ob Kittel zum neunköpfige Tourteam des deutschen Rennstalls zählen wird. 

Hinter Degenkolb und Kittel stehen bei Team Giant-Alpecin noch drei weitere deutsche Athleten. Besonders hohe Erwartungen hat die Mannschaft laut Klöpping in das Nachwuchstalent Nikias Arndt. Der erst 23jährige Hamburger holte sich im vergangenen Jahr die Silbermedaille bei den deutschen Zeitfahrmeisterschaften. Nun bekommt er erstmals die Gelegenheit, in der „Ersten Liga“ mitzufahren.

Das deutsche Quintett der Mannschaft komplettieren schließlich die bislang weniger aufgefallenen Fahrer Johannes Fröhlinger und Simon Geschke. Erfolge erhofft sich das Ream auch von Tom Dumoulin. Der niederländische Meister holte Bronze bei den Weltmeisterschaften 2014 im Einzelzeitfahren. Mit neun Fahrern bilden die Niederländer auch das Gros der Mannschaft. 

Das unter deutscher Lizenz fahrende Team mit Sitz in Holland will mit der jüngsten, von schlechter Presse geplagten Radsportvergangenheit brechen und setzt auf den durch die neuen Gesichter mitgebrachten Umschwung. 

Dazu investierte das 1905 gegründete Familienunternehmen Alpecin mit Sitz in Bielefeld einen Batzen Geld. Genaue Angaben will Pressereferent Klöpping nicht machen, laut rad-net.de soll es sich um zwölf bis 16 Millionen Euro handeln. Klöpping betont, dem Unternehmen gehe es in erster Linie nicht um „klassisches Sponsoring – ein Logo drauf und bezahlen“ –, sondern um aktive Zusammenarbeit. 

Das Unternehmen will seine langjährige Erfahrung, die es im Radsport gesammelt hat, einbringen, schließlich sei das Unternehmen bereits seit den 1930er Jahren im Profiradsport aktiv. Auch der wissenschaftliche Aspekt sei für beide Parteien interessant. „Unser Unternehmen setzt natürlich stark auf Wissenschaft und insofern ist der Transfer ein spannender“. Vor allem gehe es dabei um die Materialforschung. Die Kombination aus persönlicher und wissenschaftlicher Weiterentwicklung sei für die Dr. Kurt Wolff-Gruppe – das Unternehmen mit der Marke Alpecin – „ein spannender Ansatz“. Selbstverständlich spielen wirtschaftliche Aspekte eine große Rolle. 

Nachwuchsförderung hat oberste Priorität 

Der Ausrüster und zweite namensgebende Sponsor Giant gilt mittlerweile als der größte Zweiradhersteller der Welt. Sein Markt beschränkte sich in der Vergangenheit vor allem auf den asiatischen Raum. Jetzt ist der taiwanesische Fahrradhersteller auf dem Weg in den Westen, um auch „Europa und den Rest der Welt mit seinen Produkten zu bedienen und das passt gut zusammen“, gibt Klöpping Einblick in die Werbestrategie. Umgekehrt unternimmt Alpecin „sehr viele Asienaktivitäten“. Begonnen hat die Asienexpansion der Bielefelder 2013, „langfristig wollen wir hier Marktführer werden“, erklärte damals Eduard R. Dörrenberg, geschäftsführender Gesellschafter der Dr. Kurt Wolff-Gruppe. Neben einigen lokalen Unternehmungen in Fernost ist das Radteam nun „ein sehr großes, ein globales“ Projekt. 

Nachdem sich das letzte deutsche Team der UCI World Tour (damals UCI Pro Tour) nach mehreren Dopingskandalen 2010 auflöste, haben sich in der deutschen Radsportszene neue Wege der Nachwuchsförderung etabliert. Daran ist das neue Team maßgeblich beteiligt. Ein Beispiel dafür waren die zweiten jährlichen „Talent Days“ in der deutschen Eifel. Unterstützt vom Bund Deutscher Radfahrer (BDR) erhielten Ende Mai Nachwuchstalente im Alter von 17 bis 20 Jahren die Gelegenheit, mit Giant-Alpecin physisch und psychisch getestet zu werden und Einblicke in das Leben der Profiradsportler zu erhalten. 

„Wir wollen die gesamte Entwicklung des Radsports in Deutschland unterstützen. Wir glauben, der richtige Weg dafür ist, bei den Wurzeln anzufangen, indem der Nachwuchs gefördert und jungen Talenten in Aussicht gestellt wird, zukünftig für ein professionelles „WorldTour-Team“ zu fahren. Durch die „Talent Days“ werden sie von uns ermutigt und herausgefordert, den Radsport weiter zu verfolgen und ihr Talent zu entwickeln, um später vielleicht einmal Profifahrer zu werden“, erklärte Teamchef Spekenbrink. Die „Talent Days“ seien Teil der neuen Strategie zur Nachwuchsförderung. Da der BDR über einen guten Überblick über die deutschen Nachwuchsfahrer verfüge, sei die Zusammenarbeit zwischen dem Bund und dem Team eine ideale Möglichkeit für beide, dem Radsport in Deutschland eine Zukunft zu geben. Vor diesem Hintergrund hofft Spekenbrink, daß sich bald auch andere deutsche Radrennmannschaften der Initiative anschließen, um die „Kräfte zu bündeln“ und gemeinsam sicherstellen zu können, daß Deutschland eine „einflußreiche Größe in der Welt des Radsports wird und bleibt“. 

Dies sieht BDR-Präsident Rudolf Scharping auch so und blickt optimistisch in die Zukunft. Auf der Bundeshauptversammlung des BDR lobte der SPD-Politiker Ende März in Schwerin nicht nur die Rückkehr der ARD, auch die „großen Erfolge“ der deutschen Radsportler auf der Straße, auf der Bahn und in der Halle liegen ihm am Herzen. Vor allem pries er aber das „starke Engagement“ von Alpecin sowie deren enge Zusammenarbeit mit dem Bund Deutscher Radfahrer. All das, so Scharping, seien „gute Signale“.



Radsport: Kampf gegen Doping

John Degenkolb und Marcel Kittel gehören zu jenen Athleten, die sich vehement gegen Doping aussprechen. „Unsere Botschaft ist klar: Wir stehen für sauberen und transparenten Radsport“, sagte Kittel bei der Giant-Alpecin-Teampräsentation. Entsprechend unterstützen beide die Anti-Doping-Pläne von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD). Dem Gesetzentwurf zufolge droht Dopern nicht mehr nur eine Wettkampfsperre, sondern im schlimmsten Fall das Gefängnis. Für Leistungssportler werden das Selbstdoping und der Besitz von Dopingmitteln unter Strafe gestellt. Zudem wird die Strafbarkeit von Hintermännern verschärft. Auch für den Bund Deutscher Radfahrer ist die Richtung klar: „Seit nunmehr fast zehn Jahren hat sich der Bund Deutscher Radfahrer (BDR) deutlich im Kampf gegen Doping positioniert und durch Prävention und Aufklärung dazu beigetragen, daß eine neue Generation in den Radsport hineingewachsen ist, die Manipulation im Radsport als das sieht, was es ist, Betrug!“ unterstrich BDR-Generalsekretär Martin Wolf im März.