© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/15 / 26. Juni 2015

Sozialer Schattenschlag der Solarsiedlungen
Öko-Siedlungen in Freiburg im Breisgau: Energieeffiziente Wärme in sozial kalter Umgebung
Ludwig Roloff

Seit 30 Jahren gilt Freiburg im Breisgau als „Umwelt-Hauptstadt Deutschlands“. Nach Angaben der Stadtverwaltung, die der Kölner Geograph Sebastian Fastenrath in seiner Studie über „Grünes Bauen“ in der mit „Nachhaltigkeitspreisen“ überschütteten badischen Metropole kolportiert (Geographische Rundschau, 5/15), kommen alljährlich „Zehntausende von Öko-Touristen“ nach Freiburg, um die Vorzeigeprojekte der Stadtentwicklungspolitik kennenzulernen.

Die Wurzeln dieser umweltpolitischen Führungsrolle liegen für Fastenrath im Kampf gegen ein im benachbarten Wyhl geplantes Kernkraftwerk, das in den 1970ern Rechte und Linke, Landwirte und Studenten im ökologischen Protest vereinte. Aus der Anti-Atomkraftbewegung heraus bildete sich eine an Ökologie- und Energiethemen interessierte bürgerliche Öffentlichkeit, die mit zahlreichen Initiativen wie dem „Energiewendekomitee Freiburg“ einen idealen Resonanzraum konstituierte für die Ansiedlung von Forschungseinrichtungen wie das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE).

Nach ISE-Entwürfen entstand 1979 das erste energieautarke Solarhaus, und der Architekt Rolf Disch schuf gleichzeitig mit dem „Heliotrop“ eines der weltweit ersten Gebäude, das mehr Energie herstellte, als es verbrauchte. Damit setzte man Zeichen, die signalisierten, daß Freiburg den bundespolitischen Maßnahmen zur Energieeffizienz, die mit der Wärmeschutzverordnung kurz nach der „Ölkrise“ von 1973 und dem Energieeinsparungsgesetz (1976) einsetzten, stets vorauseilen wollte. Eine Strategie, die sich bewährte, als der Warnschuß der Ölkrise kurz vor dem Mauerfall auf nationaler Ebene schon wieder verhallt war, während in Freiburg Planungen begannen, um Energieeffizienz im großen Stil zu praktizieren. 1992 entschied sich der Stadtrat, einen Niedrigenergie-Baustandard einzuführen, der den Jahresverbrauch in Neubauten von 200 auf 70 Kilowattstunden pro Quadratmeter senkte. An diesem Wert orientierten sich zwei Stadtentwicklungsprojekte, die Neubausiedlungen Rieselfeld und das Quartier Vauban, ein aufgelassenes Militärgelände der französischen Besatzungsmacht.

Weniger gut Betuchte von vornherein ausgeschlossen

Heute gelten diese Öko-Stadtteile als Muster nachhaltigen Bauens. Bis 2010 entstand in Rieselfeld Wohnraum für etwa zehntausend Menschen, im kleineren Vauban, das über 200 Wohneinheiten in Passivbauweise verfügt, fanden weitere 5.000 Menschen ihre „grüne Heimat“. Am Rande Vaubans kam ein Ensemble von 59 Energieplus-Häusern mit Photo­voltaikanlagen hinzu. Hier habe der Architekt Rolf Disch bewiesen, daß es möglich ist, eine ganze Siedlung „weitestgehend energieautark zu versorgen“.

Kritiker monieren allerdings trotz der technologischen Innovationen, wie unangenehm die soziale Schattenseite dieser grünen Idylle in der Solarsiedlung Vauban gerade in jüngster Zeit hervortrete. Es habe sich dort eine „homogene Bevölkerungsstruktur“ des gehobenen, jungen und überraschend kinderreichen Mittelstandes herauskristallisiert. Diese Mieter, die sich Mieten jenseits des Freiburger Durchschnitts von 7,35 Euro pro Quadratmeter leisten können, blieben unter sich. Weniger Begüterte seien entweder von vornherein ausgeschlossen oder zögen fort, wenn die Miete zu sehr aufs Budget drücke, so daß hohe Fluktuationsraten zu registrieren sind.

Um die CO2-Bilanz Freiburgs bis 2030 im Vergleich zu 1992 um 40 Prozent zu senken, reicht die Anlage solcher Öko-Oasen wie Rieselfeld und Vauban jedoch bei weitem nicht aus. Seit 2002, wiederum früher als im übrigen Bundesgebiet, unterstützt das städtische Umweltamt daher private Sanierungsmaßnahmen im Rahmen des Programms „Energiebewußt sanieren“. Unsanierte Altbauten verbrauchen nämlich weiterhin jährlich 200 Kilowattstunden pro Quadratmeter an Heizenergie. Finanzielle Förderung für Wärmedämmung, Fenster- und Heizanlagenaustausch soll die Kohlenstoffbilanz im „Freiburger Kessel“ verbessern.

Die Stadt geht beim kommunalen Wohnungseigentum mit gutem Beispiel voran. Nicht zuletzt auch, um die soziale Schieflage in der Umweltpolitik zu korrigieren. Deshalb konzentriert sie sich seit 2009 auf die Modernisierung der Energieversorgung im Stadtteil Weingarten, einer typischen tristen Hinterlassenschaft des sozialen Wohnungsbaus der 1960er Jahre, wo Hochhäuser und viergeschossige Zeilenbauten vorherrschen. Zunächst nahm dort die Freiburger Stadtbau GmbH, der größte Vermieter in der Region, das 16stöckige Wohnhochhaus Bugginger Straße 50 in Angriff, das als weltweit erstes, nach Passivhaus-Standard saniertes Hochhaus in die Architekturgeschichte einging. Durch Dämmverbundmaterialien an Fassaden, Dach und Kellerdecke erhielt „Buggi 50“ eine fast geschlossene thermische Gebäudehülle. Technisch anspruchsvoll war die Installation einer Lüftungsanlage. Neu konzipierte Industrie-Ventilatoren treiben heute die auf dem Hochhausdach angebrachte Anlage an. Das so mit 13,5 Millionen Euro Renovierungskosten geschaffene Passiv-Hochhaus konnte seinen Wärmebedarf bis 2014 um 80 Prozent senken.

Energieeffizienz nur für     einen sehr hohen Preis

Wiederum bestätigte sich indes das eiserne Gesetz der Energiewende: Effizienz ist nur um einen sehr hohen Preis zu haben. Folglich stiegen die Mieten in „Buggi 50“ nach der Sanierung um knapp 40 Prozent von 4,82 auf 6,67 Euro pro Quadratmeter. Zudem bleibt die Lüftungsanlage für Kritiker ein Stein des Anstoßes. Sie sorge zwar für Wohnkomfort, sei aber kostenintensiv, verbrauche zuviel Energie zum Betrieb und induziere besondere Anforderungen an den Brandschutz im Gebäude. Trotzdem wurden bis 2014 noch zwei benachbarte Hochhäuser nach dem Modell von „Buggi 50“ saniert.

Wie das Weingarten-Projekt lehre, werde das grüne Bauen mit umweltschonender Technologie nur dann das mittelfristige EU-Ziel, einen klimaneutralen Gebäudebestand zu schaffen, erreichen, wenn die gesellschaftliche Akzeptanz gerade auf lokaler Ebene wachse. Dafür müßten die noch zu hohen Transaktionskosten beim energieeffizienten Bauen und Sanieren reduziert werden.

Foto: Nachhaltiges Bauen im Quartier Vauban (l.) und das weltweit erste Hochhaus mit fast geschlossener thermischer Gebäudehülle (r.), beides in Freiburg/Breisgau: Mieten nach Sanierung um 40 Prozent rauf