© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/15 / 26. Juni 2015

Umwelt
Essen ist nicht steril
Heiko Urbanzyk

Das „Team Wallraff“ hat es wieder getan: Ekelhaft geht es in vielen deutschen Großküchen zu. Zumindest in denen, die der „RTL-Enthüllungsreporter“ vor kurzem unter seine Lupe nahm. Neun Monate abgelaufenes Hackfleisch sei zu Chili con Carne verarbeitet worden. Eine Firma wies ihre Mitarbeiter an, von schimmeligen Gurken den vergammelten Teil abzuschneiden und den Rest weiterzuverwerten. Teamchef Wallraff persönlich gab sich als „Catering“-Unternehmer aus und fand dabei heraus: Es gibt spezielle Listen, über die Betreiber von Großküchen Lebensmittel kurz vor Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums günstiger besorgen können.

Ist die Verwendung (fast) abgelaufener    Lebensmittel wirklich ein Skandal?

Verdorbenes Fleisch ist igitt! Aber ist das Abschneiden von Schimmel und das Verwenden (fast) abgelaufener Lebensmittel ein Skandal? „Die Kinder in Afrika müssen hungern“ war und ist ein beliebter Elternspruch, wenn Fritzchen mal wieder mit einem „Ich mag nicht mehr“ den vollen Teller wegschiebt. Sogenannte Dumpster, also Menschen, die Lebensmittel aus Müllcontainern von Supermärkten stehlen, werden in der Weltverbesserungsdokumentation „Taste the Waste“ geradezu heroisiert. Sogar das Mindesthaltbarkeitsdatum soll abgeschafft werden. Denn es gibt immer noch Menschen, die glauben, mit dessen Verstreichen sei ein Produkt ungenießbar. Dabei ist der Supermarkt-Grabbeltisch mit dem roten „Reduziert! MHD!“-Aufkleber doch eine wahre Fundgrube – wo es ihn noch gibt. Wieder einmal lohnte sich also das Mitdenken bei einer solchen „Enthüllungsreportage“.

Wer es übrigens ganz steril mag: Im japanischen Kyoto steht ein „Salat-Hochhaus“. Die Räumlichkeiten sind steril. Alles läuft vollautomatisiert ab. Menschen betreten die Salatfabrik nur zum Warten der Maschinen. Der Salat kann faktisch ohne vorheriges Abwaschen verzehrt werden. Sehen wir Wallraff bald als Wartungsarbeiter in Kyoto?