© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/15 / 03. Juli 2015

„Attacke abgewehrt“
Der Bund der Vertriebenen hat einen neuen Vorsitzenden: Bernd Fabritius über den Kampf um die Erinnerung an Flucht und Vertreibung
Moritz Schwarz

Herr Dr. Fabritius, was halten Sie von Erika Steinbach?

Fabritius: Sehr viel! Der BdV wäre ohne sie heute von weit geringerer Bedeutung. 

Die Medien stellen sie oft als anrüchig dar.

Fabritius: Ihr Eindruck täuscht Sie leider nicht, doch das ist völlig realitätsfern.

Warum tun die Medien das dann?

Fabritius: Solche Journalisten sind offensichtlich nicht an einem realistischen Bild Erika Steinbachs interessiert, sondern daran, Fronten zu ziehen. Beispiel: Ein Vorwurf, den die Medien Erika Steinbach häufig machen, ist ihre angeblich grundsätzliche Ablehnung der Oder-Neiße-Grenze. Zwar hat sie 1991 im Bundestag tatsächlich gegen diese gestimmt, allerdings eben nicht aus einer grundsätzlichen Ablehnung heraus, sondern weil die Anerkennung nicht mit der Aufarbeitung des von Deutschen erlittenen Kriegsunrechts einherging. Erika Steinbach hat dazu eine Erklärung abgegeben, die aber nie ein Journalist zitiert.        

Die Medien zeichnen Sie als Steinbachs „krasses Gegenbild“, „nämlich versöhnlich und sachlich“, so etwa der„Spiegel“. 

Fabritius: Unsinn. Ich bin sachlich und versöhnlich, ja. Aber inhaltlich sage ich zu BdV-Themen nichts anderes als Erika Steinbach.  

Wie kommt dieser Widerspruch zustande?

Fabritius: Was Erika Steinbach sagt, wird als Provokation empfunden. Und als Politprofi beherrscht sie dieses Mittel auch und setzt es – zu Recht – ein.

Zum Beispiel? 

Fabritius: Erika Steinbach sagt etwa, daß der 8. Mai nicht allgemein als Tag der Befreiung proklamiert werden kann, da an diesem Tag das Unrecht nicht zu Ende war. Ich kann das aus eigenem familiärem Erleben bestätigen: Mein Großvater, der als Siebenbürger Sachse mit der Politik des Dritten Reichs rein gar nichts zu tun hatte, wurde, nur weil er Deutscher war, 1945 nach Rußland in den Bergbau verschleppt und hat genau das erlebt, was Herta Müller in ihrem Roman „Atemschaukel“ beschreibt. Erst 1950 kehrte er heim – anders als Tausende Verschleppte, die dieses Siegermächte-Verbrechen nicht überlebten. Erika Steinbach sagt also nicht, daß der 8. Mai kein Tag der Befreiung für die Opfer des Nazismus gewesen sei, sondern nur daß er kein Tag der „Universal-Befreiung“ gewesen ist. 

Und ist die verkürzte Darstellung nun die Schuld von Frau Steinbach, die wie Sie sagen „das Mittel der Provokation beherrscht“, oder die der Medien? 

Fabritius: Sie wollen mich provozieren, Medienschelte zu betreiben? 

Oder Gesellschaftsanalyse. 

Fabritius: Dann fangen wir mit letzterer an: Die Gesellschaft möchte das Reißerische, die Provokation, das was Journalisten „eine Nachricht“ nennen. Ich glaube, das ist der Grund. 

Es liegt nicht daran, daß die Forderungen Steinbachs beziehungsweise der Vertriebenen heute per se als Skandalon gelten? 

Fabritius: Nein, denn ich stelle die gleichen Forderungen, nur präzisiere ich und lasse mich nicht so einfach mißdeuten. 

Es hört sich immer wieder so an, als ob Sie Frau Steinbach mindestens für undiplomatisch halten. 

Fabritius: Frau Steinbach war BdV-Präsidentin, nicht Chef-Diplomatin. Manchmal muß man undiplomatisch sein, wenn man berechtigte Ziele gegen ideologische Vorbehalte durchsetzen muß. Ich spreche auch eher von den Medien. Unlängst unterhielt ich mich in Polen mit Historikern darüber, warum Erika Steinbach dort ein rotes Tuch ist. Sie sagten, tendenziöse polnische Medien hätten den Eindruck erweckt, die Deutschen wollten ihre Höfe wieder in Besitz nehmen. Polen, die in ehemals deutschen Häusern wohnen, hätten schon nicht mehr renoviert, weil sie glaubten, bald auf der Straße zu sitzen. Und Erika Steinbach erschien als Verkörperung dieser Bedrohung. Dabei hatte sie den Medien in Polen einen Dialog angeboten – ohne Erfolg.

Wenn Steinbach nichts falsch gemacht hat, warum sollte Ihnen dann mehr gelingen?

Fabritius: Steinbach wurde in Polen medial nur noch als Feindbild präsentiert, egal was sie sagte. Ich bin in Polen noch unbekannt und kann einen neuen, unvoreingenommenen Dialog anstoßen. Ich kann dort instrumentalisiertem Feindbilddenken die Grundlage entziehen. Warum soll dort nicht möglich sein, was in Rumänien funktioniert hat?  

Am 20. Juni wurde erstmals der neue „Gedenktag für die Opfer von Flucht und Vertreibung“ begangen. Sind Sie damit glücklich? 

Fabritius: Sehr sogar! 

Aber eigentlich wollten die Vertriebenen doch einen anderen Gedenktag: den 5. August, an dem 1950 die „Charta der Heimatvertriebenen“ unterzeichnet wurde. 

Fabritius: Darüber wurde lange debattiert. Ich war nie so recht für den 5. August, weil er in die Ferien fällt und wir da wohl nicht die Aufmerksamkeit bekämen, die wir am 20. Juni haben. Heimatvertriebene sollen nicht zu einem Sommerloch-Thema werden!

2011 brachte die CDU/CSU im Bundestag einen Antrag für den 5. August ein. Linke und SPD lehnten das voller geschichtspolitischer Empörung ab. Der grüne Abgeordnete Volker Beck etwa schlug statt dessen den Weltflüchtlingstag der Vereinten Nationen, eben den 20. Juni, vor. 

Fabritius: Entscheidend ist doch nicht, wer sich gegen wen durchgesetzt hat, sondern welcher Tag der richtige ist. Ich wäre aus besagtem Grund auch damals nicht für den 5. August gewesen. Beck hat vermutlich nicht erkannt, welchen Gefallen er uns getan hat.

Gefallen? Am 20. Juni ist die Vertreibung der Deutschen doch nur noch eine unter anderen und schrumpft zur Randnotiz. 

Fabritius: Ich kenne diesen Einwand, und es stimmt, daß darin eine Gefahr liegt. Es ist an uns, dem entgegenzuwirken, indem wir unser Schicksal in den Fokus der Öffentlichkeit stellen. Die Rede des Bundespräsidenten am ersten Gedenktag hat da ebenfalls Maßstäbe gesetzt und alle Bedenken zerstreut. Gerade Medienvertreter sollten sich diese Rede genau durchlesen. Der 20. Juni hat auch einen entscheidenden Vorteil: Die Vertriebenen haben sich immer wieder gegen die unhaltbare Kollektivschuldtheorie – Motto: „Die Deutschen sind selbst schuld!“ – zu wehren. Dadurch, daß dem Vertreibungsunrecht an den Deutschen nun am gleichen Tag gedacht wird, wie allem anderen Flucht- und Vertreibungsunrecht, wird der Vertreibung der Deutschen öffentlich sichtbar der gleiche Unrechtsgehalt beigemessen. Ich finde das sehr, sehr wichtig! Vor allem auch als Signal gegenüber unseren osteuropäischen Nachbarn, etwa wenn ich an Teile der Beneš- oder der polnischen Bierut-Dekrete denke. Ich sage nochmal: Vertriebenengedenken am 20. Juni ist eine Schlappe für alle Anhänger der Kollektivschuldtheorie!

Prognose: Im Laufe der Zeit wird der Tag immer weniger den Heimatvertriebenen, sondern den „Refugees“ gewidmet werden. 

Fabritius: Auch hier wiederhole ich: Es ist an uns, dafür zu sorgen, daß der Fokus auf unsere eigenen Opfer erhalten bleibt! Dazu hat Bundespräsident Gauck nicht nur uns, sondern die ganze Gesellschaft aufgefordert.

Frage an den CSU-Politiker Fabritius: Wo bleibt das „sichtbare Zeichen“ zur Mahnung an das Vertreibungsunrecht, das Ihre Kanzlerin bereits im Koalitionsvertrag 2005 versprochen hat?

Fabritius: In Berlin am Anhalter Bahnhof. Ich hoffe, daß ich Sie möglichst bald zur Einweihungsfeier begrüßen darf.

Zehn Jahre sind ins Land gegangen. Daß die Erlebnisgeneration bald ausgestorben ist, war offenbar kein Grund zur Eile. 

Fabritius: Ich kenne die Kritik, und auch mir ist es zu langsam gegangen, aber wir wollten das Ausstellungs-, Dokumentations- und Informationszentrum zu Flucht und Vertreibung an einer zentralen Stelle durchsetzen, und keinen „Da geht nachher keiner hin“-Ort. Und: Das Dokumentationsprojekt zielt nicht auf uns, sondern die Gesellschaft. Wir kennen unsere Biographie, aber ihr muß diese noch nähergebracht werden. 

Umgesetzt wurde das Projekt nach 2005 erst mal nicht – und Frau Merkel konnte nicht wissen, daß sie wiedergewählt werden würde. Zeigt das nicht, daß ihr das Versprechen im Grunde herzlich egal war? 

Fabritius: Nein. Ich war an den Verhandlungen beteiligt, und wir mußten gegen eine massive Front – interessanterweise der FDP, nicht der SPD und Grünen – ankämpfen. Dabei hatten wir in Volker Kauder – und damit in Angela Merkel – eine große Stütze. Außerdem ist es uns gelungen, aus der Ablehnung eines Sitzes für Erika Steinbach im Stiftungsrat einen Erfolg zu machen, nämlich eine Verdoppelung der Stiftungsratssitze und mehr als eine Verdoppelung der Ausstellungsfläche. So viel, daß unsere Gegner Merkel damals vorwarfen, sie hätte sich von uns erpressen lassen. Aber das hat sie nicht – sie hat es von sich aus mitgetragen! Ich meine also, man kann ihr keinen Vorwurf machen.

Erika Steinbach hat immer wieder darauf hingewiesen, daß die Vertreibung weder in den deutschen Verbrechen wurzelt – sondern chauvinistische und machtpolitische Gründe hat –, noch daß sie mit deutschen Verbrechen zu rechtfertigen ist. Die Kanzlerin dagegen relativiert die Vertreibung immer wieder durch den Hinweis auf die deutsche Schuld. Und dennoch betrachten Sie Frau Merkel als Unterstützerin? 

Fabritius: Vertreibungen werden doch nicht relativiert, wenn die Verbrechen des Zweiten Weltkrieges als Kontext genannt werden – gerade weil ein Verbrechen ein anderes nie rechtfertigt. Rache als Motiv ist ein niederer Beweggrund und macht in unserer Rechtsordnung aus einem einfachen Totschlag einen Mord.            

Wie beim Gedenktag droht auch beim Zentrum eine Relativierung der Darstellung des deutschen Vertreibungsschicksals durch „Internationalisierung“ sowie Fokussierung auf die deutsche Schuld am Krieg. 

Fabritius: Diese Debatte war Teil eines Diskurses, der sich 2014 hinter einem Angriff auf den Direktor der Stiftung – den Historiker Manfred Kittel – versteckte. Wir haben in der Tat lange und hart – wieder vor allem gegen die FDP und interessanterweise zudem die Vertreter der katholischen Kirche – kämpfen müssen, damit das Schicksal der deutschen Vertriebenen der Schwerpunkt der Ausstellung bleibt. 2014 aber hat der politisch anders orientierte Beraterkreis des Zentrums mit einem Angriff auf Direktor Kittel genau das zu kippen versucht. 

Und Kittel hat sich zurückgezogen. 

Fabritius: Und dennoch haben sich unsere Gegner nicht durchsetzen können, denn Kittel war ja nicht das Ziel, sondern der Angriff auf ihn nur Mittel zum Zweck. Kittel hatte sowieso vor, nach der Einweihung zurück in die Forschung zu gehen. Nun hat er dies vorgezogen, um denjenigen, die in der Tat das Projekt zur Erinnerung an die Vertreibung der Deutschen mittels Internationalisierung inhaltlich umstürzen wollten, den Hebel zu nehmen. Am Ende aber hat die Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken hin sogar ausdrücklich klargestellt, daß die Flucht und Vertreibung der Deutschen der Schwerpunkt der Ausstellung bleiben wird. Es ist also nicht nur gelungen, den Angriff zu parieren, sondern wir gehen daraus eher gestärkt hervor! 

Herr Kittel soll sich bei seinem Rückzug intern sehr enttäuscht gezeigt haben.

Fabritius: Noch mal: Nicht der „Fall Kittel“ ist ein Sieg, sondern der Fall „Schwerpunktattacke abgewendet“, darum ging es! Wie gesagt, unsere Gegner wollten den Schwerpunkt der Dauerausstellung – das Schicksal der deutschen Vertriebenen – erneut in Frage stellen, und die Personalie Kittel war nur der Aufhänger dafür. Alle Schritte zur Abwendung des Angriffs wurden mit Professor Kittel einvernehmlich besprochen und umgesetzt. Mit Erfolg!

Frau Steinbach wurde aus dem Stiftungsrat ferngehalten, Direktor Kittel zog sich zurück, und Sie sprechen dennoch von Erfolg? 

Fabritius: Erstens: Wäre es nur um die Person Kittels gegangen, hätten wir ihn sicher halten können. Zweitens: Daß man Erika Steinbach aus dem Stiftungsrat ferngehalten hat, war für mich, ebenso wie für das gesamte BdV-Präsidium, eine unglaubliche Schweinerei. Was wir auch sehr deutlich gesagt haben! Aber dennoch, durch die Verdoppelung unserer Stiftungsratssitze wurde der Einfluß des BdV – und darum ging es – nicht kleiner, sondern sogar größer.

Warum hat eigentlich ausgerechnet die FDP den meisten Widerstand geleistet?

Fabritius: Wohl weil der damalige Außenminister Guido Westerwelle glaubte, säße Erika Steinbach in dem Stiftungsrat, wäre die gesamte FDP-Außenpolitik im Eimer. Vollkommen lächerlich! Und im Grunde ein Verrat der FDP an Teilen der eigenen Wählerschaft, die damals durchaus auch aus dem Bereich der Vertriebenen und Aussiedler stammte. Das hat sich dann mit Erfolg geändert. 

In der Sudetendeutschen Landsmannschaft ist wegen der Aufgabe des Anspruchs auf Restitution heftiger Streit ausgebrochen. Sie haben die Streichung begrüßt. Warum?

Fabritius: Da irren Sie sich sehr, es sind keine Restitutionsansprüche aufgegeben worden. Solche könnte die Landsmannschaft gar nicht aufgeben, weil diese nicht zu ihrer Disposition stehen. 

Als ein Ziel nannte deren Satzung bisher: „Das Recht auf Rückgabe, Ersatz oder Entschädigung konfiszierten Eigentums zu wahren.“ Dieser Satz wurde gestrichen.

Fabritius: Die Frage der Enteignungen und deren Heilung wurde bei der Satzungsänderung nur neu formuliert und sogar geschärft sowie zutreffend argumentativ untermauert. Gefordert wird jetzt nämlich die uneingeschränkte Beachtung der europäischen Grundrechtecharta, und diese beinhaltet auch das Recht auf Eigentum. Wörtlich fordert die Satzung nun: „Daß die EU-Grundrechtecharta in allen ihren Teilen für alle EU-Mitgliedsstaaten uneingeschränkt verbindlich gemacht wird.“

Wozu dann die Streichung? Da hätte doch eine Ergänzung des alten Textes um den Hinweis auf die Grundrechtecharta genügt. 

Fabritius: Die Grundrechtecharta ist umfassender, ohne auf etwas zu verzichten. Wiederholungen sind in Satzungen unüblich. Die Forderung nach einem Ausgleich ist auch in der neuen Satzung enthalten: „Völkerrechtswidrige Enteignungen ... (sind) auf Grundlage eines gerechten Ausgleichs zu heilen.“

Wenn der Anspruch ernsthaft aufrechterhalten wird, warum wird er dann jetzt weniger konkret formuliert? Das wirkt wie ein Rückzug, bei dem den Vertriebenen Sand in die Augen gestreut werden soll. Nicht umsonst haben es Prag, Horst Seehofer und etwa die „Süddeutsche Zeitung“ begrüßt, daß nun auf den Resitutionsanspruch „verzichtet“ werde. Wie kommen die darauf, wenn es diesen Verzicht nach Ihrer Lesart gar nicht gibt?    

Fabritius: Woher ein solcher Verzicht auf Individualrechte hergeleitet werden soll, erkenne ich nicht. Begrüßt wurde hauptsächlich der Verzicht der Landsmannschaft auf die bisherige Forderung „Wiedergewinnung der Heimat“, weil diese durch die EU-Osterweiterung bereits herbeigeführt wurde. Der Satz „Ausgleich der völkerrechtswidrigen Enteignung“ ist wörtlich in der Satzung enthalten und keineswegs nur eine „Lesart“.




Dr. Bernd Fabritius, der CSU-Bundestagsabgeordnete, Rechtsanwalt und Vorsitzende des Verbands der Siebenbürger Sachsen ist seit Ende 2014 Präsident des Bundes der Vertriebenen. Geboren wurde er 1965 im siebenbürgischen Agnetheln bei Hermannstadt. 

Foto: BdV-Chef Fabritius bei der Feierstunde des Bundes am 20. Juni, dem neuen „Gedenktag für die Opfer von Flucht und Vertreibung“: „Schlappe für die Anhänger der Kollektivschuldtheorie“

 

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