© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/15 / 03. Juli 2015

In Sachsen wächst der Frust
Flüchtlingspolitik: Im Freistaat regt sich Protest gegen die Zwangsunterbringung von Asylbewerbern
Paul Leonhard

Erneut dient ein ehemaliges Hotel als Unterkunft für Flüchtlinge. Anwohner und Kommunalpolitiker trifft es wieder einmal überraschend. Schnell sind Befürworter und Gegner der deutschen Flüchtlingspolitik vor Ort, um sich voller Haß aneinander zu reiben. Und mit ihnen kommen die Medien, die das Auftreten einer Handvoll Demonstranten zu  landesweit verbreitetem Ausländerhaß stilisieren. „Die Fotos im Internet und in den Zeitungen wurden so raffiniert aufgenommen, das man nicht erkennen kann, daß nur ein paar Meter weiter unsere Häuser stehen“, empört sich eine Familie aus Freital im Leserforum der Sächsischen Zeitung über die Berichterstattung. Im sächsischen Freital, einer 40.000 Einwohner zählenden ehemaligen Stahlwerkerstadt vor den Toren Dresdens, kochen die Emotionen in puncto Asylbewerberheime besonders hoch. Auch in Meißen gibt es seit März Proteste. 

Proteste gegen Studenten-Rauswurf

Es hätte auch ein Stadtteil der Landeshauptstadt sein können, Laubegast etwa oder Leubnitz. Analoge Vorgänge hätten sich in Schneeberg im Erzgebirge, im westsächsischen Hoyerswerda abspielen können oder im niederschlesischen Görlitz. Dort hatte der Oberbürgermeister in letzter Minute verhindern können, daß der Freistaat quasi über Nacht ein nahe dem Grenzfluß Neiße gelegenes Studentenwohnheim in ein Erstaufnahmeheim verwandelt. Den Studenten war bereits kurzfristig gekündigt worden, und entsprechend laut erklang der Aufschrei von ihnen, die auf einmal gar nicht mehr asylfreundlich waren, in den sozialen Netzwerken. Bürger legten Protestunterschriftenlisten aus. Die Bundespolizei sorgte sich wegen der offenen Grenze zu Polen. Das Stadtoberhaupt fürchtete um  den Tourismus, der die einzige solide Einnahmequelle der Stadt ist. Letztlich lenkte der Freistaat ein, es wurde eine andere Lösung gefunden.

In Freital beispielsweise, wo der Bürgermeister vielleicht weniger energisch protestierte oder einfach nur schlechtere Beziehungen zu Spitzenpolitikern hat. Wo 100 Asylbewerber Platz gefunden haben, könne man noch weitere 279 Flüchtlinge unterbringen, dürfte die Überlegung aus Dresden gewesen sein. Prompt eskalierte die Situation. Täglich wird protestiert. Die Ängste der Bewohner werden unter anderem vom Pegida-Umfeld dankbar aufgegriffen, welche wiederum Asylbefürworter wie die „Organisation für Weltoffenheit und Toleranz Freital und Umgebung“ auf den Plan rufen. Daß sich die Freitaler Gegner des Asylbewerberheims von vermeintlichen und echten Rechtsextremen mit Rufen wie „Nazis raus“ distanzieren, nimmt kaum jemand zur Kenntnis. Selbst Wolfgang Donsbach, Professor am Lehrstuhl Kommunikationswissenschaft an der TU Dresden, hat inzwischen Zweifel, ob die Medien die Wirklichkeit neutral widerspiegeln oder ob Journalisten „nicht lieber mit der einen als der anderen Seite sprechen, weil die ihnen ideologisch nähersteht als die andere“. Wie ist beispielsweise die „Initiative Heimatschutz“ zu bewerten, die an der Elbbrücke in Meißen ein großes Transparent aufgehängt hat und die sich im Internet von Brandstiftungen und Anschlägen distanziert?

Unter den Asylbewerbern in Sachsen befinden sich genau 499 Intensivtäter. Das mußte Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) in seiner Antwort auf eine Kleine Anfrage des AfD-Landtagsabgeordneten Sebastian Wippel einräumen. Abschieben könne man sie nicht, da begangene Straftaten und Verurteilungen keinen Einfluß auf das Asylverfahren haben dürfen.

140 neue Flüchtlinge müsse Sachsen täglich aufnehmen, hatte Ministerpräsident Stanislaw Tillich den protestierenden Freitalern gesagt. Und diese Zahl werde weiter steigen. Das ist auch allen klar, die die Verhandlungen der Staats- und Regierungschefs in Brüssel verfolgt haben. Denn wenn Freiwilligkeit statt Quote gilt, wird es für die Bundesregierung „Ehrensache“ sein, die Tore des Landes zu öffnen. Das Entsetzen deutscher Politiker über europäische Kollegen wie Viktor Orbán oder den britischen Premier David Cameron fällt leicht. Letzterer orientiert sich an der Stimmung seines Volkes, bevor er britische Bedingungen für einen Verbleib seines Landes in der EU nannte: keine Aufnahme von Flüchtlingen, keine Sozialleistungen für EU-Immigranten, keine EU-Vorschriften im Bereich der Sozialpolitik. Auch Deutschlands östliche Nachbarn Polen und Tschechien halten die Grenzen fest vor den Flüchtlingen verschlossen. Laut dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge muß Deutschland nach aktuellen Prognosen mindestens 400.000 Asylbewerber aufnehmen, davon entfallen lediglich 20.400 auf Sachsen. Dabei ist Sachsen schon heute heillos überfordert, die bis Mai eingetroffenen 8.012 Asylbewerber unterzubringen. 

Aber auch aus anderen Parteien vernimmt man keine konstruktiven Lösungsvorschläge. Sozialdemokraten und Grüne verweisen lediglich auf Allgemeinplätze und Floskeln. Die fremdenfeindliche Stimmung im Land dürfe sich nicht hochschaukeln. Immerhin haben bei den Linken einige gehandelt und kümmern sich mit großem persönlichen Engagement um die Flüchtlinge.

Foto: Proteste für und gegen das Asylbewerberheim in Freital: Fehlendes Fingerspitzengefühl der Politik