© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/15 / 03. Juli 2015

Thalers Streifzüge
Thorsten Thaler

Auf der Autobahn zur Hölle geht’s nicht mehr voran. Der Stau reicht kilometerweit quer durch die halbe Stadt. Wir brauchen zweieinhalb Stunden, inklusive eines gehörigen Fußmarsches mangels Parkplätzen weit rund um das Olympiastadion, für eine Strecke, die sonst in einem Drittel der Zeit zu schaffen ist. Doch damit nicht genug, die nächsten Nervenproben folgen im Stadion: An sämtlichen Bratwurst- und Getränkeständen haben sich, trotz überhöhter Preise, lange Warteschlangen gebildet, die sanitären Einrichtungen bieten ein Bild des Grauens, und der Verkaufsstand mit den Bandshirts ist so dicht umlagert, daß ich es nach einer Weile mißmutig aufgebe. Von der Vorfreude auf AC/DC, das Konzertereignis des Jahres, sind zu diesem Zeitpunkt allenfalls noch Spurenelemente übrig. 

Die Vorgruppe hebt die Laune auch nicht. Im Gegenteil, die Bluesrock-Band Vintage Trouble aus Los Angeles ist ein schlechter Witz. Jetzt helfen nur noch Riffgewitter von Angus & Co. Tatsächlich genügen allein die ersten vier Sechzehntelnoten des Intros von „Rock or Bust“, um mich schlagartig wieder mit der Welt zu versöhnen, mich zu erden und gleichzeitig schweben zu lassen. Dazu das Versprechen Brian Johnsons: Wir sind ’ne Partyband / Spiel’n im ganzen Land / Heute nacht lassen wir’s krachen / Machen wir euch alle wach / Hört ihr die Gitarren dröhnen / Laut und in vollen Tönen / Rocken euch in die Knie / Werden euer Schicksal sein. – Was folgt, sind zwei Stunden pures Daseinsglück!

Umgekehrte Vorzeichen: Während Sarah Connor erstmals auf deutsch singt und sich mit ihrer CD „Muttersprache“ seit fünf Wochen auf den vorderen Plätzen der deutschen Album-Charts behauptet, hat Rammstein-Sänger Till Lindemann soeben sein erstes Album in Englisch vorgelegt (zusammen mit dem schwedischen Metal-Musiker Peter Tägtgren) und ist mit „Skills in Pills“ direkt auf Platz eins der Charts eingestiegen. Der Erfolg sei dem 52jährigen schon allein deshalb gegönnt, weil er ihn hoffentlich davon abhält, seiner zweiten künstlerischen Leidenschaft zu frönen: dem Dichten. Zwei Bände mit größtenteils verschwurbelter und sinnfreier Lyrik hat Lindemann bislang veröffentlicht, „Messer“ (2005) und „In stillen Nächten“ (2013), die beide zusammen nun erstmals in einem Taschenbuch erschienen sind. Zur Kostprobe hier das Gedicht „Licht“ in voller Länge: „Mach das Licht an / Damit ich / Dich sehen kann“. Und das ist noch eines der besseren. Schuster Lindemann, bleib bei deinem Leisten.