© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/15 / 03. Juli 2015

DVD: 23 Schritte zum Abgrund
Von subtil bis schrill
Werner Olles

Der erfolgreiche amerikanische Schriftsteller Phillip Hannon (Van Johnson) hat sich seit einem Unfall, bei dem er erblindete, verbittert in eine komfortable Wohnung im Londoner Stadtbezirk Kensington zurückgezogen. Isoliert von der Außenwelt und früheren Freunden lebt er hier mit seinem Butler Bob Matthews (Cecil Parker) und vergräbt sich in seine Arbeit. Als ihn unerwartet seine ehemalige Sekretärin und Ex-Braut Jean Lannox (Vera Miles) aus den USA besucht, bemerkt diese sehr schnell seine Gereiztheit und seinen Sarkasmus. Doch Jean, die ihn immer noch liebt, läßt sich von seiner Schroffheit nicht irritieren, da sie ihm helfen will, wieder ins normale Leben zurückzufinden.

In einer Kneipe versucht Hannon seine Gefühle zu ertränken, die auch er Jean gegenüber immer noch hat. Unfreiwillig wird er dabei Ohrenzeuge eines Gesprächs zweier Personen, die in einem Séparée hinter ihm sitzen. Aus den Gesprächsfetzen schließt er, daß am 10. des Monats ein Verbrechen geplant ist. Er meldet das der Polizei, doch die nimmt ihn nicht ernst. Allein Jean und sein Diener Bob glauben ihm. Erst als der blinde Dichter fast einem Mordanschlag zum Opfer fällt, interessiert sich auch die Polizei für seine Theorie. Doch das ominöse Datum rückt immer näher …

Henry Hathaways Kriminalfilm „23 Schritte zum Abgrund“ („23 Paces to Baker Street“) aus dem Jahr 1956 ist ein faszinierender Thriller von großer Spannung und formaler Eleganz, der in ein nervenraubendes, dramatisches und fintenreiches Katz-und-Maus-Spiel mündet. Abrupt wechselnde Stimmungen und sehr subjektiv geprägte Eindrücke von Londons vornehmem Stadtteil Kensington, von Kameramann Milton R. Krasner zwielichtig-elegant eingefangen, nebelverhangenen Straßen an der Themse und die sorgfältig gewählten Innendekorationen verstärken die Thrillereffekte.

Hathaway variiert bis zum überraschenden Schluß genüßlich die Nuancen von subtil bis schrill. Der Zuschauer fühlt sich in die geheimnisvolle Geschichte förmlich hineingezogen, vertraut sich ihr an, akzeptiert ihre Prämissen. Bei der Schlußpointe muß er freilich entdecken, daß der Film auch mit ihm gespielt hat, daß er alles offengelegt hat, nur um besser täuschen zu können. 

DVD: 23 Schritte zum Abgrund. Pidax-Film 2015, Laufzeit etwa 94 Minuten