© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/15 / 03. Juli 2015

Zwischen allen Fronten
Preußischer Moralist: Eine Erinnerung an den deutsch-jüdischen Religionshistoriker Hans-Joachim Schoeps
Martin Voelkel

Hans-Joachim Schoeps gehörte in den ersten Nachkriegsjahrzehnten zu den einflußreichsten, zumindest zu den am meisten gelesenen Historikern Westdeutschlands. Vor allem sein Buch „Preußen – Geschichte eines Staates“ prägte Generationen von Schülern und Studenten, interessierten Laien und Wissenschaftlern. Aber das war nur ein kleiner – wenngleich zentraler – Ausschnitt seines Schaffens: die Ausgabe der gesammelten Schriften umfaßt immerhin fünfzehn Bände, in denen sich Abhandlungen zur Theologie wie zu verschiedenen Themen der Historiographie, zu allgemeinen und spezifischen politischen Fragen finden.

Schoeps wurde am 30. Januar 1909 in Berlin geboren, knapp vor dem Untergang des alten Europa und mit ihm des alten Preußen. Die Familie Schoeps

war ein Musterbeispiel für das, was man die „deutsch-jüdische Symbiose“ genannt hat. In vollem Bewußtsein der eigenen Besonderheit betrachtete man sich als integralen Bestandteil der Gesamtnation. Typisch war insofern, daß

Schoeps eine preußische Erziehung und eine humanistische Ausbildung erhielt. Er studierte in Heidelberg, Marburg, Berlin und Leipzig Germanistik, Geschichte und vergleichende Religionswissenschaft. 1932 wurde er zum Dr. phil. promoviert. Gleichzeitig hatte er das Erste Staatsexamen abgelegt, konnte aber im Folgejahr wegen der nationalsozialistischen Machtübernahme nicht mehr in das Referendariat eintreten; aus demselben Grund scheiterte auch der Versuch, sich zu habilitieren.

Berührung mit der „Konservativen Revolution“

Die Einstellung von Schoeps zum NS-Regime war komplizierter, als die Nachwelt vermuten wird. Das hatte ganz wesentlich damit zu tun, daß er nicht nur wie die meisten seiner Zeitgenossen durch den Zusammenbruch von 1918 und den Versailler Vertrag tief erschüttert worden war, sondern auch in einer geistigen Atmosphäre lebte, die die Ideen der „Konservativen Revolution“ prägten. Erste Berührung mit deren Gedankengut hatte Schoeps schon durch seine Aktivität in der Jugendbewegung, dann durch die Verbindung mit dem Tat-Kreis und das Umfeld der Zeitschrift Der Ring. Beide Organe rechnete man den „Jungkonservativen“ zu, deren Weltanschauung er im Sinn seiner Vorstellung von „theonomem Konservatismus“ variierte.

Schoeps’ schon hier hervortretende Eigenwilligkeit und Neigung, sich zwischen alle Fronten zu begeben, erklärt auch seine Überlegung, die deutschen Juden als selbständigen „Stand“ in einen neuen korporativen Staat einzubauen. Erfolg hatte er damit nicht, weckte nur das Mißtrauen der nationalsozialistischen Regierungsstellen wie die Feindseligkeit der an „Dissimilation“ interessierten Zionisten wie der Emigration, die ihn als „Getreuen Hitlers“ diffamierte. Bis Dezember 1938 blieb Schoeps trotz wachsenden Drucks in Deutschland, dann floh er vor drohender Verhaftung nach Schweden. Wie groß die Gefahr war, erhellt auch die Tatsache, daß seine Eltern in den Lagern ums Leben kamen.

Als jemand, der sich nach wie vor der politischen Rechten zuordnete und aus seinem Monarchismus keinen Hehl machte, blieb Hans-Joachim Schoeps in den Kreisen des Exils isoliert. Seine 

Energie konzentrierte er darauf, die unterbrochene wissenschaftliche Arbeit wieder aufzunehmen und klarzustellen, daß Deutschland und das NS-Regime nicht identisch seien.

Insofern war es nur konsequent, daß Schoeps unmittelbar nach Kriegsende in die Heimat zurückkehrte. Er habilitierte sich 1946 in Marburg und wurde ein Jahr später auf den eigens geschaffenen Lehrstuhl für Religions- und Geistesgeschichte an der Universität Erlangen berufen; parallel begann er mit der Herausgabe der Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte.

Schoeps Vorstellung von „Geistesgeschichte“ knüpfte zwar einerseits an klassische Vorstellungen an, verstand sich aber darüber hinausgehend als „Zeitgeistforschung“. In mehr als drei Jahrzehnten publizierte Schoeps zahlreiche Monographien und Sammelwerke auf diesem Gebiet. Dabei lassen sich zwei zentrale Interessengebiete ausmachen: das Urchristentum – insbesondere die Entwicklung der „Judenchristen“ – und die Geschichte des preußischen Staates, vor allem seiner konservativen Denker. Dieses Interesse am „anderen Preußen“ hing vor allem mit der ungebrochenen Sympathie zusammen, die Schoeps der konservativen preußischen Tradition entgegenbrachte. Bereits mit seiner Rede über „Die Ehre Preußens“ zum 250. Jahrestag der ersten preußischen Königskrönung, dem 18. Januar 1951, sorgte er für Aufsehen.

Der „Fall Schoeps“ erregte bundesweit Aufsehen

Eine ähnlich irritierende Wirkung wie das Plädoyer eines deutschen Juden für den preußischen Staat hatten auch Schoeps’ später erhobene Forderungen nach Einrichtung eines „Oberhauses“ aus ernannten Vertretern oder nach Wiederherstellung der Monarchie. Je weiter sich dann die Linkstendenzen in den sechziger Jahren verstärkten, desto schärfer wurde Schoeps im Ton und desto weniger schützte ihn seine jüdische Herkunft. Der Publizist Arie Goral beschimpfte Schoeps als „braunen Juden“, und die APO, die endlich eine Handhabe gegen den Konservativen fand, der schon verschiedentlich energische Maßnahmen zur Abwehr des linken Extremismus verlangt hatte, verunglimpfte ihn als „Nazi-Jude“ oder „jüdischen Obersturmbannführer“.

Auf Unterstützung brauchte Schoeps

in dieser Lage nicht zu hoffen. Die philosophische Fakultät seiner Universität hatte schon 1968 eine Solidaritätserklärung abgelehnt. Der „Fall Schoeps“ erregte bundesweit Aufsehen und zog Angriffe auch in der überregionalen Presse, etwa in Zeit und Spiegel, nach sich. Trotzdem hat er an seiner konservativen Linie festgehalten und eine akademische Schülerschaft gefördert, die diese Tradition weitergab. Zu ihr gehören Hellmut Diwald und Günther Deschner im engeren, Robert Hepp und Hans-Dietrich Sander im weiteren Sinn. Aber bei seiner Emeritierung im Wintersemester 1976/77 konnte Schoeps nur mit Mühe verhindern, daß seine intellektuelle Hinterlassenschaft vollständig zerstört wurde. Als er am 8. Juli 1980 starb, gab es aber immerhin noch diejenigen, die ihm zuerkannten, was er eigentlich gewesen war: „ein preußischer Moralist“ (Historiker Kurt Kluxen).