© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/15 / 03. Juli 2015

„Für uns ist das eine Zumutung“
Geschichtspolitik: Italien feiert den Kriegseintritt 1915 / Nun gibt es Streit, weil die Südtiroler nicht mitfeiern wollen
Reinhard Liesing

Auch unter Ministerpräsident Matteo Renzi greift italienische Geschichtspolitik auf jenseits des Landes und außerhalb seiner Historikerzunft umstrittene Symbolik zurück. Renzi ordnete zum 100. Jahrestag des Eintritts Italiens in den „Grande Guerra“ (24. Mai 1915) die Beflaggung aller öffentlichen Gebäude mit der Trikolore an. Damit ließ man sich in Rom dazu hinreißen, sozusagen regierungsamtlich den für Italien maßgeblichen Beginn des Ersten Weltkriegs zu glorifizieren – eine merkwürdige Symbolik, denn nirgendwo sonst wird heutzutage in staatlichem Rahmen noch ein Kriegseintritt gefeiert. 

Unverständlich nicht nur für diejenigen, die zu den Leidtragenden des damaligen „Roma locuta, causa finita“ gezählt werden müssen. Das sind die Nachfahren derer, die sich nach Abschluß der Pariser Vorortverträge 1919 in einem ungeliebten Staat und daher in fremdnationaler Umgebung wiederfanden, weil sich die eng mit dem Seitenwechsel 1915 verbundenen Kriegsziele Italiens hatten verwirklichen lassen. Hier sind in erster Linie die Südtiroler zu nennen.

Das Königreich Italien hatte, wie das Deutsche Reich und Österreich-Ungarn dem 1882 geschlossenen Dreibund angehört, der die Unterzeichner zu gegenseitiger Unterstützung im Falle eines Angriffs anderer Mächte auf eines oder alle Mitglieder verpflichtete. 1914 erklärte sich Rom für neutral, 1915 entschied sich die Regierung Antonio Salandra für den Kriegseintritt zugunsten der aus Frankreich, Großbritannien und Rußland bestehenden Entente. Die Entente-Mächte hatten in dem am 26. April 1915 in London abgeschlossenen Geheimvertrag dem Seitenwechsler Italien außer dem trientinischen den gesamten cisalpinen Teil des alten Habsburgerkronlandes Tirol – und damit die in Rom heißbegehrte Brenner-Grenze – zugesagt; im Friedensvertrag von St. Germain-en-Laye (10. September 1919) fiel es ihm daher als Kriegsbeute zu. 

Auch nach dem Zweiten Weltkrieg blieb das Gebiet zwischen Brenner und Salurn bei Italien; das Selbstbestimmungsrecht wurde den Südtirolern wie 1918/19 verwehrt. Was sie erhielten, war eine auf Kulturautonomie fußende, gefinkelte Selbstverwaltung im Rahmen der Region Trentino-Alto Adige. In den letzten Jahren ist sie mittels „Ausrichtungs- und Koordinierungsbefugnis“ Roms immer stärker ausgehöhlt worden. Längst ist das im Parteistatut der seit 1945 in der Autonomen Provinz Bozen-Südtirol regierenden „Sammelpartei“ SVP verankerte Selbstbestimmungsgebot deren stetigem Arrangement mit den römischen Eliten gewichen. Kein Wunder, daß diese immer wieder zu geschichtspolitisch markanten Akten volklich-assimilatorischer Einebnung und also nationalistischer Vereinnahmung greifen. 

Ignoranz gegenüber den geschichtlichen Fakten

Als nichts anderes ist auch das  Beflaggungsdekret des Matteo Renzi zu sehen. Nicht allein, daß dies Heimatbund (SHB), Schützenbund (SSB) und Vertreter der oppositionellen Deutschtiroler Landtagsparteien auf den Plan rief; auch der Rom gegenüber sonst eher samtpfötige Landeshauptmann Arno Kompatscher (SVP) stellte, was ihm deren sonst eher seltene Zustimmung eintrug, kurzerhand fest: „Für uns eine Zumutung, der wir nicht Folge leisten werden.“ 

Entsprechend nationalistisch wurde im Staatssender RAI die mediale Begleitmusik intoniert. Bruno Vespa, Moderator der italienweit ausgestrahlten Sendung „Porta a porta“, schoß sich in der dem Weltkriegseintritts-Jahrestag eigens gewidmeten Sendung auf den Südtiroler Fahnen-Streik ein: „Noch immer gibt es Teile Italiens, die sich in der Trikolore nicht wiederfinden; da ist man fassungslos.“ Und: „In all den Jahren hätten die Südtiroler ja nach Österreich abhauen können.“ 

Anhand von „Flaggen-Streit“ und „Trikolore-Streik“ erwies sich für die Südtiroler zum wiederholten Male der geschichtspolitisch motivierte Versuch nationalistischen Einebnungsgebarens. Sprach doch am 11. November 2014 der damalige Staatspräsident (und einstige Kommunist) Giorgio Napolitano tatsächlich davon, Südtirol habe sich „für die Zugehörigkeit zu Italien entschieden“ („…il Sudtirolo-Alto Adige, che ha fatto la scelta dell‘appartenenza statutale all‘Italia….“). Kein SVP-Politiker widersprach dieser von Respektlosigkeit und Ignoranz gegenüber den geschichtlichen Fakten gekennzeichneten höchstinstanzlichen römischen Unwahrheit. Dies blieb oppositionellen Politikern in Wien und Bozen sowie SHB-Obmann Roland Lang und SSB-Landeskommandant Elmar Thaler vorbehalten. 

Foto: Rathaus in Bozen mit Europa-, Tirol- und Italienflagge: „Südtirol hat sich für die Zugehörigkeit zu Italien entschieden“