© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/15 / 03. Juli 2015

Neoliberalismus und globale Anarchie: Ein Kartenhaus von Versprechungen
Im Zweifel ist Reagan schuld
(wm)

Das „Massaker von Charleston“, dem am 17. Juni neun Afroamerikaner zum Opfer fielen, interpretiert der Karl-Marx-Versteher Dietmar Dath als Symptom sich rasant auflösender gesellschaftlicher Ordnungen im kapitalistischen System, dem als letzte politische Option nur das Management des Niedergangs verbleibe (FAZ vom 20. Juni 2015). Als Urheber dieses Verfallsprozesses identifiziert Dath den neoliberalen, zuerst von den Regierungen Ronald Reagans und Margaret Thatchers vorgetragenen „Angriff“ auf den Wohlfahrtsstaat. Mit dieser simplen Erklärung kolportiert der FAZ-Feuilletonist ein komplexes Deutungsmuster, das in den europäischen Wirtschafts- und Sozialwissenschaften an Boden gewinnt. Auch der Kölner Soziologe Wolfgang Streeck, einer der prominentesten Verfechter der These vom „ökonomischen und moralischen Niedergang des Kapitalismus“, verlegt die Ursprünge der derzeitigen „globalen Anarchie“ in die Zeit vor dreißig Jahren, als die „neoliberale Revolution“ ausbrach (Blätter für deutsche und internationale Politik, 4/2015). Die kapitalistische Weltwirtschaft befinde sich seitdem auch jenseits akuter Krisen in einem „kritischen Zustand“, weil das Vertrauen in ihre Stabilität auf einem „Kartenhaus von Versprechungen balanciert“, deren Einlösung immer unwahrscheinlicher werde.

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