© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/15 / 10. Juli 2015

Mord und Totschlag auf der Abschußliste
Interview: Der frühere Hamburger Richter Günter Bertram über die von SPD-Justizminister Heiko Maas geplante Reform des Strafrechts
Christian Vollradt

Eine von Justizminister Heiko Maas (SPD) eingerichtete Expertenkommission zur Reform des Strafrechts hat in ihrem Abschlußbericht empfohlen, Mord künftig nicht mehr zwangsläufig mit lebenslanger Haft zu bestrafen. Außerdem sollten die Begriffe „Mörder“ und „Totschläger“ aus dem Strafrecht gestrichen werden, da sie der „Tätertypenlehre“ der nationalsozialistischen Rechtswissenschaft entstammten. Der Arbeitskreis lehnt die Streichung von Mordmerkmalen wie „Heimtücke“ und „niedrige Beweggründe“ hingegen ab. Das Spektrum der Merkmale solle im Gegenteil erweitert werden, damit künftig auch Tötung aus rassistischen Beweggründen als Mord bestraft werden könnte.

Herr Bertram, braucht das deutsche Strafrecht eine solche Reform?

Bertram: Sie ist nicht unnütz, allerdings auch nicht dringlich. Kleine und große Strafrechtsreformen hat es seit 1952 bis jetzt etwa 180mal  gegeben. Mord und Totschlag allerdings blieben in der Formulierung des Reichsgesetzgebers vom 4. September 1941 bestehen, wobei die extreme Rechtsfolge der Todesstrafe dann schon 1949 vom Grundgesetz abgeschafft wurde. Die Aufgabe, Mord, Totschlag und mildere Tötungsformen gegeneinander abzugrenzen und die Sanktion der lebenslangen Freiheitsstrafe sachgerecht zu begrenzen, blieb aber keineswegs unerledigt liegen. Es war allerdings nicht der Gesetzgeber, sondern die Rechtsprechung, zumal der Bundesgerichtshof und das Bundesverfassungsgericht – intensiv begleitet von der Wissenschaft –, die als behutsame Reformer in die Bresche sprangen und auch solchen Tatbestandsmerkmalen, die man an sich für unbestimmt halten konnte, verläßliche Konturen gegeben und auch anderes präzisiert haben.

Sind die Vorschläge Ihrer Meinung nach in erster Linie durch den Profilierungswunsch des Justizministers motiviert?

Bertram: Die Vorschläge des recht sachkundigen Gremiums scheinen mir auf qualifizierten Beiträgen aus Praxis und Wissenschaft zu beruhen und auch der jeweiligen Geschichte des diskutierten Problems Rechnung zu tragen. Sie fallen insgesamt moderat und vernünftig aus. Es hat ja wenig Sinn, den Ehrgeiz zu entwickeln, das Rad ständig neu zu erfinden. Viel mehr Probleme, als der Laie – auch der landläufige Politiker –vermutet, sind schon hin und her erwogen und meist nicht ohne vernünftigen Grund so und nicht anders gesetzlich geregelt worden. Ausnahmen – meistens vom Zeitgeist diktierte, in leider zunehmender Zahl – bestätigen die Regel. Man tritt dem Minister gewiß nicht zu nahe, wenn man sein (ja keineswegs verwerfliches und schon wiederholt unter Beweis gestelltes) öffentliches Profilierungsstreben als ein starkes Motiv auch dieser Initiative hervorhebt. Dabei hat er in einem freilich recht: Es ist längst an der Zeit, die Wendungen „ wird als Mörder ...“ oder „ wird als Totschläger bestraft“ durch die allgemeine nüchterne Gesetzessprache zu ersetzen, die es bei der Beschreibung des Tatbestands beläßt. „Tatstrafrecht“ also auch terminologisch statt „Täterstrafrecht“. Das Gesetz spricht auch sonst nicht vom „Dieb“, „Betrüger“, „Vergewaltiger“ usw.;  sondern „wer“ dies und jenes tut, ist zu bestrafen. Es stimmt aber keineswegs, daß – in den Worten des Justizministers – „ der Mordparagraph bis heute vom Ungeist der Naziideologie geprägt“ ist. Er hat längst seine verläßlichen rechtsstaatlichen Konturen gewonnen und verfeinert, über denen allerdings ein falsches Wort als falsche Flagge hängt; die muß endlich eingeholt werden.

Der Forderung des Deutschen Anwaltvereins, den Mordparagraphen abzuschaffen, hat sich das Gremium mehrheitlich nicht angeschlossen; ist das aus Ihrer Sicht eine gute Entscheidung?

Bertram: Ja, eine vernünftige Entscheidung! Man sollte die Kirche im Dorf lassen: Gewiß läßt sich die Tötungskriminalität auch in anderen Kategorien, Modalitäten und dogmatischen Begriffen erfassen. Es ist aber nicht weise,  ohne drängende Not im Strom des gesellschaftlichen Lebens plötzlich die Pferde zu wechseln. Das würde der Verläßlichkeit des Rechtslebens an einem prekären Punkt abträglich sein.

Die Experten plädieren dafür, Tötungen wegen des Geschlechts, der ethnischen oder sonstigen Herkunft, des Glaubens, der religiösen Anschauung oder aus rassistischen Beweggründen als höchststrafwürdig zu normieren. Was halten Sie davon?

Bertram: Ein interessanter Vorschlag, gegen den sprechen könnte, daß auch er zunächst wie ein Zeitgeist-Dekor ( JF 11/12 „Bundesrat will Tatbestand Haßkriminalität einführen“) wirken mag. Damals ging es um verfehlte (ideologische) Vorgaben für die richterliche Strafzumessung im allgemeinen, jetzt um eine nähere Bestimmung des Rahmenbegriffs „niedrige Beweggründe“ – im Ergebnis ja auch eine – besonders qualifizierte! – Strafzumessungsfrage. Hier nun dürfte der Vorschlag der Experten viel besser sein als das damals Propagierte, weil seine Kriterien objektiv, neutral und offenbar nicht unter dem Diktat unseres elenden Rechts-Links-Schemas konzipiert worden sind. So erfaßt der besondere Schutzbereich des Katalogs nun auch Christen, ihren Glauben, Deutsche und was sonst noch als Bestandteil der sogenannten „Mehrheitsgesellschaft“ sich keiner besonderen Fürsorge des Gesetzgebers zu erfreuen pflegt. Was freilich, sollte dieser Vorschlag Gesetz werden, die Praxis daraus machen wird und wie sie diesen neuen Katalog auslegt: das sollte man sehr aufmerksam verfolgen.





Günter Bertram war Vorsitzender Richter am Hamburger Landgericht

 

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