© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/15 / 10. Juli 2015

„Zutiefst schockiert“
NSA-Spionage: Politiker in Deutschland und Frankreich geben sich empört angesichts neuer Enthüllungen
Lion Edler

Er sei „erschrocken über diese neuen Meldungen“, bekannte SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann. Der Anlaß seines Erschreckens: Die Plattform „Wikileaks“ hatte in der vergangenen Woche offengelegt, daß diverse Bundesministerien vom amerikanischen Geheimdienst NSA abgehört wurden. Im Visier sollen 69 Festnetzanschlüsse aus den Ministerien für Landwirtschaft, Finanzen und Wirtschaft gewesen sein. Auch Telefonate der Kanzlerin seien mitgeschnitten worden, hieß es.

Die Vorgänge müßten „vollständig aufgeklärt“ werden, forderte Oppermann. Man müsse nun „in ein ernsthaftes Gespräch mit unseren amerikanischen Bündnispartnern gehen“. Der Vorsitzende des NSA-Untersuchungsausschusses im Bundestag, Patrick Sensburg (CDU), will zudem die Überwachung des Nachrichtenmagazins Spiegel im Ausschuß zur Sprache bringen. 

2011 soll der Spiegel mit Wissen der Bundesregierung von amerikanischen Geheimdiensten ausspioniert worden sein. Das Magazin erstattete bereits Anzeige bei der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe. Wie das Blatt berichtet, soll die CIA-Spitze den deutschen Geheimdienstkoordinator Günter Heiß über Kontakte seines Stellvertreters Hans Josef Vorbeck zum Spiegel informiert haben. Die CIA verdächtigte Vorbeck, Dienstliches an die Hamburger Journalisten ausgeplaudert zu haben. Kurz darauf war Vorbeck versetzt worden – Kanzleramtschef – und somit Vorgesetzer – war damals Ronald Pofalla (CDU). „In der weiteren Befragung der Zeugen Heiß und Pofalla wird der Sachverhalt auf jeden Fall eine Rolle spielen“, sagte Sensburg in der vergangenen Woche Spiegel Online. Sollte es Dokumente über abgehörte Kommunikation wie zum Beispiel Mobiltelefone geben, müßte der NSA-Ausschuß diese einsehen können, forderte der Christdemokrat.

Am vergangenen Donnerstag wurde bekannt, daß Pofallas Nachfolger Peter Altmaier (CDU) den amerikanischen Botschafter John B. Emerson zu einem „umgehenden Gespräch ins Kanzleramt gebeten“ habe. Dies scheint die freundschaftlichere Version der ungleich härteren Variante im diplomatischen Umgang – der Einbestellung – zu sein. Laut Sensburg seien die Amerikaner nach den erneuten Enthüllungen über die NSA-Spionage „erheblich in Erklärungsnot“ geraten. 

Ebenfalls am Donnerstag setzte der Bundestagsuntersuchungsausschuß den früheren Bundesverwaltungsrichter Kurt Graulich als sogenannte „Vertrauensperson“ ein. Als eine Art Sonderermittler soll er auf Vorschlag von Union und SPD Einsicht in die streng geheimen Listen amerikanischer Spionageziele nehmen. Linkspartei und Grüne kritisierten diese Zwischeninstanz scharf; sie wollen dagegen beim Bundesverfassungsgericht klagen.

Ärger wegen der NSA-Überwachung hat indes auch Frankreich. „Wikileaks“-Dokumente sollen nach Informationen der französischen Zeitung Libération belegen, daß die NSA rund hundert französische Konzerne ausspähte – darunter alle im französischen Aktienindex CAC40 notierten Unternehmen. Im besonderen Fokus der Beobachtungen stünden „Projekte mit Verbindungen zu Telekommunikation, Elektrizität, Gas, Erdöl, Atomkraft und erneuerbaren Energien“. Nach Angaben der französischen Enthüllungsplattform „Mediapart“ führte die Spionage jedoch nicht zu entgangenen Aufträgen von französischen Unternehmen, da die Dokumente keine Namen von Unternehmen enthalten hätten.

Gleichzeitig sollen auch zwei französische Wirtschaftsminister ausspioniert worden sein, darunter der heutige EU-Kommissar Pierre Moscovici – auch er zeigte sich „zutiefst schockiert“ über die Erkenntnisse von Wikileaks.