© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/15 / 10. Juli 2015

Pankraz,
Ch. de Montesquieu und die Hitzewelle

Das geht nun wirklich zu weit“, schimpfte – wohl nicht ganz ernst gemeint – ein unaufgeklärter Zeitgenosse anläßlich der jüngsten Hitzewelle in Mitteleuropa über die vielen zur Zeit Asyl begehrenden afrikanischen Zuwanderer. „Außer ihren hausgemachten politischen Problemen bringen sie uns gleich auch ihr wahnsinnig heißes, alle Aktivitäten tötendes afrikanisches Klima mit! Dagegen muß man etwas tun.“

Fragt sich nur, was. Gewisse politische Probleme sind so tief in die Gesellschaft eingeschliffen, daß man sie kaum noch lösen kann, jedenfalls nicht kurzfristig. Für die afrikanischen Asylsucher gibt es hierzulande nur eine einzige Alternative: Entweder sie entscheiden sich mit jeder Faser ihres Herzens und mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen für ein angepaßtes Leben in der neuen Welt – oder sie gehen eher früher als später wieder zurück nach Afrika. Und mit den Klimaproblemen steht es noch viel schlimmer, da man das Klima menschlicherseits überhaupt nicht verändern kann.

„Die menschliche Kultur braucht, um sich in all ihren Dimensionen wahrhaft entfalten zu können, ein gemäßigtes Klima“, formulierte einst der große französische Klimaphilosoph und Staatsrechtler Charles de Montesquieu (1689–1755). „Und das bedeutet erstens mittlere Temperaturgrade und zweitens eine variantenreiche, nicht nur auf lange Regen- beziehungsweise Dürrezeiten beschränkte Wetterskala (…) Das rasch wechselnde Wetter unterläuft das herrschende Klima, sorgt für Abweichung von der Regel, für Abwechslung. Und was ist der Kultur zuträglicher als Abwechslung?“


Im Grunde freilich ist nicht nur der Mensch, sondern schon die freie, lebendige Natur im ganzen der wettermäßigen Abwechslung äußerst zugeneigt. Man nehme eine der mittelgroßen Wüsten rund um den Globus, nicht die schreckliche Sahara, aber die Kalahari, die Atacama, Regionen, wo tagsüber immer die Sonne scheint und es konstant um die vierzig Grad heiß ist und wo es vielleicht alle fünf Jahre nur einmal  kurz regnet. Mit Erschütterung sieht der Naturfreund nach einem solchen „Geschenkregen“, wie sich die Wüste urplötzlich in schier wahnwitziger Eile belebt und einen wahren Triumphtanz der Schöpfung absolviert.

Pflanzenkeime, die dort jahrelang tief unter der Erde im Schlaf gelegen haben, schießen raketenhaft empor und entfalten sagenhafte Blütenpracht. Urtümliche Kröten und anderes Getier, das – in einen steinähnlichen Mantel aus selbsterzeugtem Schleim gehüllt – nicht minder tief und nicht minder lange geschlafen und gewartet hat, wacht auf, kriecht hervor, schnappt nach Luft, frißt sich gegenseitig auf, zeugt mit äußerster Geschwindigkeit Nachkommen (welche dann sofort wieder im Erdboden verschwinden, einen eigenen Schleimpanzer ausspucken und auf das nächste Geschenkwetter warten).

So leistet das Leben fast beliebig lange Widerstand, sofern seine Gene nur „wissen“, daß man sich – und sei’s über größte Zeiträume hinweg – aufs Wetter verlassen kann. Für die Entwicklung der menschlichen Kultur allerdings lautet die Formel anders. Sie will sich nicht mit bloßem Widerstand begnügen, nicht nur verkriechen und auf bessere Zeiten warten, sondern ihr Impetus ist auf Herrschaft aus, auf bewußte Veränderung der natürlichen Lebensumstände und auf die Erforschung und Eroberung fremder Regionen, der Meere, der Gebirge, unerhörter, gefährlicher Jagdgründe.

Allzu heißes und gleichförmiges Klima, so Montesquieu in seinen Untersuchungen über „Das Prinzip der Despotie“, führt zu kulturellem Stillstand und damit in Staatsdingen unweigerlich zur Despotie. Zitat: „In der Sahara wie in der Despotie gibt es keine Milderung, Mäßigung und Anpassung, keine Bedingungen, Vergleiche, Veränderungen. Der Mensch in der Despotie ist lediglich eine Kreatur, die einer anderen Kreatur gehorcht.“


Wenn man will, mag man in dieser Konstellation die geographische Zwickmühle (und Tragödie) des afrikanischen Kontinents sehen, von der die jetzige Massenauswanderung offenbar lediglich ein aktueller Aspekt ist. Denn der Mensch will seinem Wesen nach nicht nur „Kreatur“ sein, sondern mindestens im gleichen Maß auch „Kreator“, also Schöpfer, selbstbestimmter Erfinder und Neugestalter. Die geographischen Verhältnisse Afrikas lassen eine solche privilegierte Stellung aber einfach nicht zu. Die Sicherung der schlichten Kreatürlichkeit setzt dem Kreator namens Homo sapiens recht enge Grenzen.

Zwar stammt dieser Homo sapiens, allen diesbezüglichen Forschungen und Funden zufolge, eindeutig aus dem Inneren Afrikas, doch ebenso eindeutig ist der Befund, daß es keine Homo-sapiens-Form lange in Afrika aushielt, daß sich immer wieder Teile derselben nach Norden und Nordwesten aufmachten und daß sie erst dort in der kühlen und „gemäßigten“ Fremde die volle Breite ihrer Wesenskräfte peu à peu entfalten konnten.

Bei aller Lichthitze und Farbenvielfalt Afrikas blieb es doch stets „Das Herz der Finsternis“, wie der tief erschütternde Kongo-Roman Joseph Conrads heißt. Keine der großen Entdeckungen oder Techniken, die der Homo sapiens im Laufe der Zeiten gemacht hat und die das Bild der Menschheit prägten, im Positiven wie im Negativen, stammt aus Afrika. Sie wurden und werden alle re-importiert, einstmals von den westlichen Kolonialmächtem, heute von den Chinesen und den Saudis. Und daran wird sich, vermutet Pankraz, auch in Zukunft nichts ändern. 

„Wie schade“, seufzt Montesquieu in seiner „Despotie“, „daß sowenig Raum ist zwischen der Zeit, wo man zu jung, und der, wo man zu alt ist!“ Genau darin liegt das Problem Afrikas, ja sein Schicksal. Es ist, was immer auch passieren mag, entweder zu jung oder zu alt. Es findet, weil es dort zu lange zu heiß ist, keine Gelegenheit, je wirklich erwachsen zu werden.

Dergleichen kann man in vieler Hinsicht charmant und interessant finden und dabei auch väterliche Gefühle entwickeln. Es ist aber leider oft auch unbequem, nicht zuletzt für andere.