© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/15 / 10. Juli 2015

Querelen um das „sichtbare Zeichen“
Vertriebenenstiftung bekommt einen neuen Direktor: Die Konflikte um die Dauerausstellung schwelen weiter
Gernot Facius

Ein Friedensschluß sieht anders aus. Die Wahl des Düsseldorfer Professors Winfrid Halder (52) zum Chef der Berliner Bundesstiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ (JF 28/15) markiert nur eine neue Etappe der Querelen um das „sichtbare Zeichen“. Es spricht einiges dafür, daß sich auch der Nachfolger des Ende 2014 nach heftigen internen Streitigkeiten ausgeschiedenen Gründungsdirektors Manfred Kittel (53) schon bald mit den Geburtsmängeln dieses Projekts konfrontiert sieht.

Halder sollte nach dem Willen der Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) ein Konsenskandidat sein, mit dem die gegnerischen Parteien, Vertriebenenvertreter auf der einen und Fürsprecher  einer Internationalisierung der Stiftungsarbeit auf der anderen Seite, würden leben können. Grütters Rechnung ist so nicht aufgegangen, die massive Kritik aus dem wissenschaftlichen Beirat kratzt nun auch an ihrem Image.

Als erster trat der polnische Historiker Krzysztof Ruchniewicz, Chef des Willy-Brandt-Instituts an der Uni Breslau, aus dem Expertengremium zurück, ihm folgten Professor Piotr Madajczyk (Warschau), der Beiratsvorsitzende Stefan Troebst (Leipzig) und seine Fachkollegen Michael Wildt (Berlin) und Michael Schwartz aus München – Schwartz hatte gegen Halder kandidiert.

Vorgänger Kittel scheiterte am Dauerkonflikt

Die lautstarke Demission der Wissenschaftler ließe sich noch als Theaterdonner abhaken, denn ihre fünfjährige Amtszeit endet ohnehin im Herbst. Doch steckt dahinter mehr. In ihr spiegelt sich der in der Konzeption der Stiftung angelegte Dauerkonflikt, an dem letztlich Manfred Kittel gescheitert ist: Soll sich das „sichtbare Zeichen“ dem Schicksal der deutschen Heimatvertriebenen vorrangig zuwenden oder dieses neben anderen „ethnischen Säuberungen“ behandeln? Das sei geklärt, sucht Grütters zu beschwichtigen. Die Stiftung, sagte sie in einem Spiegel-Interview, „wird eine Dauerausstellung erstellen, in der das Schicksal der Deutschen den Schwerpunkt bildet. Bei der Gesamtarbeit der Stiftung soll ihr Schicksal einen Schwerpunkt einnehmen.“

Daran scheiden sich seit Jahren die Geister, zu einer befriedigenden Klärung ist es bislang gekommen. Der Konflikt köchelt weiter. In Halder, seit 2006 Direktor des Gerhart-Hauptmann-Hauses in Düsseldorf, sehen Grütters’ Kritiker einen Mann des Bundes der Vertriebenen (BdV), der sechs der 21 Sitze im Stiftungsrat einnimmt. Dabei hat sich der Sohn schlesischer Eltern, in Bayern aufgewachsen, lediglich in einigen Aufsätzen zum Minderheitenschutz und zur Nationalitätenvielfalt in Ostmitteleuropa geäußert, wissenschaftlich ist Halder vor allem mit Forschungen zur katholischen Soziallehre und bayerischer beziehungsweise sächsischer Regionalgeschichte hervorgetreten. Er bringt allerdings, wie Staatsministerin Grütters hervorhebt, „enorme Erfahrung“ in der Leitung eines Teams, im Umgang mit Budgets und mit größeren Veranstaltungshäusern mit. Ob diese „breite fachliche Expertise“ (Grütters) den neuen Direktor, für den 15 Stiftungsratsmitglieder gestimmt haben, vor Attacken aus dem neu zu bildenden Beraterkreis bewahrt?

Der Expertenzirkel ist zwar für Personalfragen nicht zuständig, er ist aber publizistisch gut vernetzt, das wird auch in neuer Besetzung nicht anders sein. Wie sagte Erika Steinbach (CDU), die einst den Anstoß für die Gründung des „sichtbaren Zeichens“ gab, in der Welt? „Die Stiftung benötigt unbedingt mehr Spielraum und nicht noch mehr Bevormundung, um erfolgreich das Konzept umzusetzen. Bisher gab es eher zuviel ‘Kandare’ als zuwenig.“

Vor Halder liegen „große Herausforderungen“ (BdV-Präsident Bernd Fabritius, CSU). „70 Jahre nach Flucht und Vertreibung erwarten die deutschen Heimatvertriebenen und Flüchtlinge, daß die historische Aufarbeitung ihres Schicksals endlich auch sichtbar wird.“ Vor 2018 wird das nicht möglich sein, vielleicht auch erst 2019. Das Deutschlandhaus als Ort des „sichtbaren Zeichens“ gleicht einer ewigen Baustelle – wie der Pannen-Flughafen BER.

Die von Wissenschaftlern geforderte „Internationalität“ gilt in Vertriebenenkreisen weiterhin als Chiffre für eine Relativierung der Verbrechen an Ost- und Sudetendeutschen, um nur einige Opfergruppen zu nennen. Bei Flucht und Vertreibung dächten junge Deutsche „nicht an Ostpreußen, sondern an Syrien“, heißt es im Spiegel. Grütters: „Die Stiftung muß und wird sich diesem Thema öffnen. Das ist auch die Absicht des neuen Direktors. Nur dann wird die Einbindung einer jungen Generation gelingen, in deren Familien die Erfahrungen der Vertreibung nicht mehr von Zeitzeugen erzählt werden können.“

Auf dem Sudetendeutschen Tag 2015 in Augsburg hat Halder-Vorgänger Kittel davor gewarnt, „daß sich das Ganze in die Beliebigkeit eines manchmal modisch-undifferenzierten Migrationsdiskurses auflöst, wo der Unrechtscharakter der Vertreibung allzu leicht relativiert wird“. Die Gefahr bleibt real.