© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/15 / 17. Juli 2015

Immer wieder Kassel
AfD: Lucke bastelt an einer neuen Partei, Petry stemmt sich gegen den Absturz
Marcus Schmidt

Wenn es so etwas wie eine AfD-Stadt gibt, dann Kassel. Seit 2013 fanden hier zahlreiche Tagungen und Konferenzen der AfD-Führung statt. An diesem Wochenende wird in Kassel ein neues Kapitel der AfD-Geschichte aufgeschlagen: das ihrer Abspaltung. Am Sonntag treffen sich in der nordhessischen Stadt rund 70 führende Vertreter des „Weckrufs 2015“, um über das weitere Vorgehen  nach dem Bruch mit der AfD zu beraten. Mittlerweile haben zahlreiche Weckruf-Mitglieder der Partei den Rücken gekehrt, darunter seit vergangenem Freitag auch Ex-Parteisprecher Bernd Lucke. Vordergründig geht es bei dem Treffen um die Auswertung einer Online-Umfrage unter den Weckruflern. Bei dieser hatten sich in der vergangenen Woche 75 Prozent der 2.600 Teilnehmer für eine Parteineugründung ausgesprochen. Und darum wird es dann auch gehen. Lucke hält sich öffentlich zwar noch zurück. Doch es wäre eine Überraschung, wenn er bei der neuen eurokritischen Partei nicht an vorderster Front mitmischen würde. 

Hamburger Fraktionschef will bleiben

Noch ist nicht bekannt, welchen Namen sich die AfD-Abspaltung geben wird. Doch die von den drei aus der AfD ausgetretenen Bremer Bürgerschaftsabgeordneten gegründete parlamentarische Gruppe „Bremer Bürgerliche Reformer“ gibt einen wichtigen Hinweis. Die Anlehnung des Namens an den der  Brüsseler Fraktion der „Europäischen Konservativen und Reformer“, der Lucke und Co. angehören, ist auffällig. Die dazu passende Internet-Domain www.buergerliche-reformer.de wurde bereits Anfang Juni vom Ex-AfD-Funktionär und Weckruf-Mitglied Jens Paulsen gesichert.

Unterdessen hat der neue AfD-Vorstand am vergangenen Freitag versucht, dem in den Medien verbreiteten Eindruck eines Rechtsrucks der Partei entgegenzuwirken. „Die AfD steht inhaltlich da, wo sie bei ihrer Gründung 2013 stand“, sagte Petry auf einer Pressekonferenz in der Berliner Parteizentrale. Die AfD sei nie eine extremistische Partei gewesen und werde es auch nie sein. „Die Eurokritik bleibt unser wichtigstes Thema“, unterstrich Petry. Wichtige Themen seien vor allem die notwendige Reform der EU, die Einführung der direkten Demokratie auf Bundesebene sowie die Mittelstandsförderung und die Familienpolitik. Petry und ihr Co-Sprecher Jörg Meuthen waren sichtlich bemüht, die Themen Asyl und Zuwanderung bei dieser Gelegenheit möglichst klein zu halten.

Flankierend dazu wurde im Internet ein von mehr als 70 AfD-Funktionären unterzeichnetes Positionspapier mit dem Titel „Bekenntnis zur AfD als einer liberal-konservativen Volkspartei“ veröffentlicht (www.libkon.de). Darin weisen die Initiatoren den Vorwurf einer Richtungsänderung der AfD auf dem Parteitag in Essen ebenfalls zurück. „Wir, die bürgerliche Mehrheit der AfD, werden weiter energisch für das bisherige Parteiprofil einer liberal-konservativen Volkspartei kämpfen, in der sich auch all die ehemaligen Mitglieder der etablierten Parteien wohlfühlen, die durch den dortigen Linksrutsch heimatlos wurden.“

Daß für die Partei noch Hoffnung besteht, auch dezidiert liberal-konservative Mitglieder zu halten, zeigt der Hamburger Fraktionsvorsitzende Jörn Kruse. Zwar kündigte der Wirtschaftswissenschaftler in der vergangenen Woche an, er werde als Landeschef zurücktreten. In einer langen Mail an die Mitglieder begründete er aber am Montag, warum er die Partei nicht verlassen will. Zwar attestierte auch Kruse der Bundes-AfD, sie sei  durch den Essener Parteitag „stark nach rechts gerückt“. Auch habe ihn das teilweise „mobartige Benehmen“ zahlreicher Mitglieder auf dem Parteitag entsetzt. Für den Hamburger Landesverband der AfD, der ihm in den vergangenen zwei Jahren ans Herz gewachsen sei, bestehe aus Sicht Kruses aber noch Hoffnung. „Es fiele mir leicht, aus der neuen Bundes-AfD auszutreten, aber nicht aus der Landes-AfD Hamburg.“

Der Aderlaß für die AfD, die in den Umfragen auf drei Prozent rutschte, ist dennoch groß. Nach Angaben Petrys sind seit dem Parteitag mehr als 2.000 der zuletzt 21.000 Mitglieder ausgetreten. Die Partei rechne damit, daß bis zu zwanzig Prozent der Mitglieder ihr Parteibuch zurückgeben könnten.

Foto: AfD-Sprecher Frauke Petry und Jörg Meuthen in Berlin:  „Die AfD steht inhaltlich da, wo sie 2013 stand“